Umstrittene Erinnerung – wegweisende Erneuerung

Der folgende Artikel stammt aus dem aktuellen Rundbrief des Instituts für Theologie und Politik. Peter Fendel, Mitarbeiter im ITP und Mitglied des Vorbereitungsteams der Versammlung in Rom, blickt zurück.

Versammlung zum 50. Jahrestag des Katakombenpakts in Rom, 11.-17. November 2015

Über 250 Personen, vorwiegend aus dem deutschsprachigen Raum, aus Basisinitiativen, aus Reformgruppen, aus theologischen Fakultäten in Deutschland und zahlreiche Einzelpersonen waren es schließlich, die sich vom 11.-17. November in der Casa La Salle in Rom versammelten, um den „Katakombenpakt“ zu erinnern und zu erneuern. Das ITP war an der Vorbereitung und Durchführung federführend beteiligt, gemeinsam mit anderen AkteurInnen aus dem Bündnis Pro Konzil, das zum 50. Jubiläum des Konzils schon die Konziliare Versammlung in Frankfurt 2012 und seitdem mehrere „konziliare Ratschläge“ ausgerichtet hatte.

Erinnerung und Erneuerung

Das Programm richtete sich an den Polen der Erinnerung und Erneuerung des Paktes aus. Erinnerung meint dabei mehr als den historischen Rückgriff. Es ging uns darum, uns bewusst in der Tradition eines messianisch-prophetischen Christentums, einer dienenden Kirche an der Seite der Armen, zu verorten, für die der Katakombenpakt geradezu sinnbildlich steht. Die Erneuerung des Paktes geschieht dort, wo diese Tradition heute fortgeschrieben wird. Dazu wollte die Versammlung in Rom einen Anstoß geben. Zahlreiche Vorträge und Podiumsdiskussionen griffen dieses Spannungsfeld zwischen Erinnerung eines kirchenhistorischen Ereignisses und seiner Fortschreibung nach dem Konzil bis heute auf. Vor allem in den Workshops ging es darum, wie die Erneuerung des Paktes heute gelingen kann. Eine Arbeitsgruppe von Studierenden erarbeitete in diesem Sinne eine Selbstverpflichtungserklärung zur Solidarität mit Geflüchteten, die schließlich von über 140 Teilnehmenden unterzeichnet wurde. In mehreren Exkursionen bestand zudem die Möglichkeit, Akteuren der „Kirche der Armen“ in Rom zu begegnen, zum Beispiel in der Basisgemeinde St. Paul vor den Mauern.

Explosiver als gedacht

Dieser inhaltliche Bogen zwischen Erinnerung und Erneuerung war in Rom heftig umstritten. Die Zusammensetzung der Teilnehmenden war, insbesondere dank der 90 Studierenden, deutlich heterogener als gedacht: die ganze Explosivität des Themas wurde greifbar. Manche haben versucht, diese Spannungen als Generationenkonflikt zu deuten. Wir sind der Auffassung, dass es vielmehr um unterschiedliche inhaltliche Positionen ging, um unterschiedliche Auffassungen von Theologie und davon, wie wir uns Kirche vorstellen. Was bedeutet es, heute Kirche an der Seite der Armen zu sein? Was heißt es, den Katakombenpakt eben nicht nur „diskursiv“, sondern auch ganz praktisch, im konkreten Engagement, zu erneuern? Es war letztlich ein großes Verdienst der Versammlung, Kommunikation genau darüber in Gang zu bringen. So waren die Tage für viele von sehr dichten und ehrlichen Auseinandersetzungen geprägt. Diese Auseinandersetzungen machen uns immer noch nachdenklich. Sie zeigen jedenfalls, wie umstritten das Projekt einer „Kirche der Armen“ ist. Das ist keine Konsensidee, der man mal so im Vorbeigehen zustimmen kann, weil es gerade angesagt ist. Nein, es geht um existentielle Fragen, um Positionierung und um Grundoptionen: was bedeuten eigentlich Glaube, Kirche, ChristInsein, Theologie? Die Diskussion darüber möchten wir jedenfalls gerne weiterführen.

Ein Zeichen im Zentrum der Weltkirche

In diesem Sinne war es gut, dass wir gerade in Rom versammelt waren. Im Aufruf hieß es: „Setzen wir ein Zeichen im Zentrum der (Kirchen-)Macht, dass der Katakombenpakt kein historisches Relikt ist, sondern dass seine An­liegen auch heute von ChristInnen aufgegriffen und im konkreten Engagement an der Seite der Arm­gemachten und Marginalisierten gelebt werden!“ Durch den Versammlungsort ist es uns tatsächlich gelungen, eine breite Öffentlichkeit herzustellen und den Pakt weit über den deutschen Kontext hinaus bekannt zu machen. In Anbetracht der Umstrittenheit und des prekären Status der „Kirche der Armen“ und des „Franziskus-Projekts“  im weltweiten Kontext ist es gut, dass wir in Rom präsent und sichtbar waren. Dies gelang unter anderem durch die Zusammenarbeit mit Council 50 (Konzilsprojekt Wir sind Kirche) und der Ordenskommission Iustitia et Pax.

Kirchengeschichte live…

Ein Höhepunkt der Versammlung war sicherlich der Festakt in den Domitilla-Katakomben am 16. November, dem Gedenktag des Katakombenpaktes und zugleich der 1989 ermordeten Jesuiten in El Salvador. Dass an diesem Tag Bischof Luigi Bettazzi (Mitunterzeichner des Paktes) und Jon Sobrino SJ in den Katakomben mit uns die Messe feiern konnten, war für die beiden und für viele der Teilnehmenden sehr bewegend. Bischof Bettazzi wertete den Pakt als Samenkorn, das sie damals eingepflanzt hätten und das jetzt, ganz unverhofft, zu einem großen Baum geworden sei. Es war bewegend, in diesem Moment mitten im kirchengeschichtlichen Geschehen zu stehen, in einer Dynamik, die vor 50 Jahren ihren Anfang genommen hat, und die genau jetzt geschieht, wenn wir weitertragen, was damals begonnen hat, in „einer anderen Kirche für eine andere Welt.“