Instruktion „Universae Ecclesiae“: Vatikan fördert Tridentinischen Ritus. Kirchenrechtliche Argumente gegen die Bevormundung der Bischöfe

Für ‚normale Menschen‘ klingt der neueste Aufreger aus Rom absurd, für reformorientierte Katholiken mag es die Veranschaulichung der „Dialogoffensive“ sein – die freilich nicht vom Vatikan, sondern von der Deutschen Bischofskonferenz versprochen wurde: Eine neue Instruktion namens ‚Universae Ecclesiae‘ (hier im Wortlaut auf kath.net) beschäftigt sich mit der Wieder-Ausweitung des Tridentinischen Ritus, das ist die vorkonziliare Messe in Latein und mit dem Rücken zum (nicht zwingend vorhandenen) Volk, die in Zukunft von allen, auch einzelnen, Gläubigen, die das wollen, gefeiert werden können und wieder verstärkt in die Priesterausbildung Eingang finden soll.

Johannes Röser formuliert im Artikel „Statt Weite neue Enge?“ in der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ zu den Spaltungstendenzen, die hier zu Gunsten der Traditionalisten forciert werden, treffend fest: „Die einseitig Traditionsorientierten finden im Vatikan anscheinend leichter offenes Gehör als die Bitten der großen Mehrheit der kirchlich treuen, religiös engagierten und reformerisch aufgeschlossenen Katholiken aus der Mitte des Gottesvolks. Das beweist auch die Stagnation auf dem Gebiet vieler seit Jahrzehnten diskutierter Reformthemen und Vorschläge. Daher wohl scheint sich auch das Interesse der Gläubigen an einer neuen innerkirchlichen Dialoginitiative, wie sie zum Beispiel für Deutschland angeregt worden ist, bisher sehr in Grenzen zu halten.“

Insbesondere stellt Röser allerdings fest, dass die beauftragte Kommission sich eine eigene Hirtengewalt und Oberaufsicht über die autonome Hirtengewalt der Bischöfe anmaßt, indem sie sich beispielsweise vorbehält, gegen einzelne Verwaltungsakte von Bischöfen zu entscheiden. Das bedeutet, dass „die Bischöfe von der vatikanischen Behörde auf dem betreffenden Gebiet faktisch als ihre Untergebenen betrachtet werden.“ Auch an anderen Stellen lässt sich dieser „‘Entzug‘ der ureigenen bischöflich-apostolischen Vollmacht durch eine kuriale Verwaltungsbehörde“ aufzeigen. Seltsamerweise haben die Bischofskonferenzen bisher nicht darauf reagiert.

Aus diesem Anlass veröffentlichen wir einen Artikel, der uns freundlicherweise von Hermann Häring zur Verfügung gestellt wurde und Ergebnisse der Habilitation von Hans-Jürgen Guth präsentiert. Er behandelt das Thema des legitimen Widerspruchs der Bischöfe gegen den Papst aus kirchenrechtlicher Perspektive.
Ius remonstrandi

Remonstrationsrecht des Diözesanbischofs im kanonischen Recht
“Das auf eine Entscheidung Papst Alexanders III. zurückgehende „ius remonstrandi“ ist ein rechtlich institutionalisiertes Verfahren der Kommunikation zwischen Diözesanbischof und Papst für den Fall, daß ein Gesetz des Papstes sich als unpassend oder schädlich für die dem Bischof anvertraute Diözese erweist. Nach dieser sich auf ein Reskript beziehenden Entscheidung Papst Alexanders III. muß der Bischof eine päpstliche Anordnung nicht ausführen, wenn der Bischof einen vernünftigen und ausreichenden Grund gegen die päpstliche Anordnung vorbringt. Dies gilt gleichermaßen für päpstliche Gesetze. Als rational begründeter Widerspruch des Diözesanbischofs ist die bischöfliche Remonstration integraler Bestandteil des gesamtkirchlichen Gesetzgebungs- und Rechtsetzungsprozesses.

Dabei dient die bischöfliche Remonstration über die Sicherstellung eines rationalen Ergebnisses dieses Prozesses hinaus auch der Gewährleistung der Akzeptanz des jeweiligen Gesetzes, d. h. der „receptio Iegis“.

Die Bedeutung, die das kanonische Recht im Prozeß der Rechtsetzung durch den Gesetzgeber der Rezeption, d. h. der Annahme des Gesetzes durch die Normunterworfenen zumißt, beschreibt Winfried Aymans wie folgt: „Die Rezeption oder Aufnahme des Gesetzes gehört zum Wesen der Gesetzgebung. Ein Gesetz, das nicht rezipiert und infolgedessen nicht praktiziert wird, bleibt toter Buchstabe, mag das Gesetz auch in noch so feierlicher Form promulgiert worden sein.“

Wenn jedes Gesetz als eine Form der Kommunikation zwischen Gesetzgebungsorgan und der Gemeinschaft der Normunterworfenen zu betrachten ist, dann ist aufgrund der dialogischen Struktur jeglicher Kommunikation eine positive Aufnahme des Gesetzes auch die vom Gesetzgeber gewünschte Reaktion. Das bischöfliche Remonstrationsrecht bietet hier im gesamtkirchlichen Gesetzgebungsverfahren ein zusätzliches Instrument zur Sicherstellung der auch kommunikationstheoretisch begründbaren „receptio legis“.

Die Entscheidung eines Diözesanbischofs, ob er von seinem „ius remonstrandi“ Gebrauch macht, ist deshalb keine ihn individuell als Person betreffende Angelegenheit, sondern ergibt sich aus seinem Amt und der damit verbundenen Verantwortung für die Diözese. Das Amt des Bischofs als Vorsteher einer Diözese ist als Bestandteil des „ius divinum“ der Kirche vorgegeben. Dem Diözesanbischof ist insbesondere die Sorge für seine Diözese anvertraut. Diese Sorge für seine Diözese kann aber durchaus den einzelnen Bischof auch zu einer gemeinschaftlichen Ausübung des „ius remonstrandi“ veranlassen. Stimmen mehrere Diözesanbischöfe oder gar eine Bischofskonferenz in ihrem Urteil überein, daß ein päpstliches Gesetz für ihre jeweiligen Diözesen schädlich oder unpassend ist, ist ein solcher gemeinschaftlicher Akt bischöflicher Remonstration durchaus möglich. Richard Puza nennt hierfür folgendes Beispiel aus jüngster Zeit: „Die deutschen Bischöfe haben dem Apostolischen Stuhl Bedenken rechtlicher und pastoraler Natur gegen die Vorschrift über Glaubensbekenntnis und Treueid mitgeteilt. Daß heißt, daß die deutschen Bischöfe von dem ihnen kraft Kirchenrecht zustehenden Ius remonstrandi Gebrauch gemacht haben. Der ‚Erlaß‘ der Glaubenskongregation ist damit bis zur Klärung der Frage in seiner Geltung für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz suspendiert.“ Auch eine solche kollektive Ausübung des „ius remonstrandi“ läßt sich aus der mit dem Amt des Diözesanbischofs verbundenen Verantwortung für seine Diözese begründen.

Zum Teil wird aber in der Literatur gefordert, das bischöfliche Remonstrationsrecht zu einem allgemeinen jederfrau bzw. jedermann zustehenden Recht auszuweiten. Dies geschieht meist mit Verweis auf Can. 212 § 3 CIC 1983, wie z. B. von Knut Walf: Folgt man jedoch konsequent den Aussagen des Konzils, dann darf man das Remonstrationsrecht auch auf alle Kirchenangehörigen legitimerweise ausdehnen. In n. 37, 1 LG heißt es etwa, daß die Laien “bisweilen auch die Pflicht (haben), ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, zu erklären”. Ähnlich heißt es in Can. 212 § 3: Die Christgläubigen haben das Recht und manchmal sogar die Pflicht, gegenüber ihren geweihten Hirten ihre Ansicht über jene Angelegenheiten zu äußern, welche das Wohl der Kirche betreffen.“ Durch die Zuordnung des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu dem in § 1 desselben Canons geforderten christlichen Gehorsam „impliziert das Recht der Meinungsäußerung auch das Recht auf Remonstration, d. h. auf Gegenvorstellung beim kirchlichen Gesetzgeber in bezug auf Kirchengesetze, deren Akzeptanz bei den Gläubigen fraglich und deren Anpassung an örtliche oder zeitliche Verhältnisse geboten scheint, wie Heinrich J. F. Reinhardt im Münsterischen Kommentar ausführt.

Der Versuch das Remonstrationsrecht auf alle Gläubigen auszudehnen, indem für ein aus dem Recht auf freie Meinungsäußerung begründetes allgemeines Remonstrationsrecht plädiert wird, kritisiert Ursula Beykirch zurecht folgendermaßen: “Eine solche Argumentation greift allerdings zu kurz, denn bei der Remonstration geht es nicht darum, daß ein Diözesanbischof dem Papst seine Meinung sagt, sondern jeder Diözesanbischof wird in seiner eigenständigen Verantwortung für die Diözese tätig, indem er darauf drängt, die Geltung eines universalkirchlichen Gesetzes zeitweilig oder gegebenenfalls ganz auszusetzen.“ Wenn der Bischof aus der Verantwortung für seine Diözese zum rechtlichen Instrument der Remonstration greift, ist dies zweifellos mehr als eine unverbindliche Meinungsäußerung. Auch kann der Bischof aufgrund der Sorge für die ihm anvertraute Diözese unter Umständen sogar zu einer Remonstration verpflichtet sein.

So spricht zum Beispiel René Pahud de Mortanges in diesem Zusammenhang auch ganz konkret von einer „Remonstrationspflicht der Gläubigen“. Eine solche Pflicht zur Remonstration nach Can. 212 § 3 CIC 1983 dürfte aber mit dem bischöflichen Remonstrationsrecht nicht mehr viel gemeinsam haben. Sie würde sich dem Wortlaut dieses Canons entsprechend auf ein allgemeines Recht auf freie Meinungsäußerung reduzieren. Adressiert an die geistlichen Hirten wäre eine solche Äußerung nicht nur eingeschränkt auf Angelegenheiten, die das Wohl der Kirche betreffen, sondern wäre öffentlich nur zu formulieren „unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Personen“. Rechtliche Konsequenz dürfte allenfalls die Verpflichtung der geistlichen Hirten sein, eine entsprechende Äußerung entgegen zu nehmen, keinesfalls wäre mit ihr, wie bei der bischöflichen Remonstration, eine Suspension der entsprechenden gesetzlichen Vorschrift verbunden.

Dagegen gilt es festzuhalten, daß das Recht zur Remonstration dem Bischof aufgrund seines Amtes zukommt. Dies gilt auch für die Remonstration nach deutschem Beamtenrecht. Hier ist es das Amt des Beamten, das zur Remonstration berechtigt und unter Umständen auch verpflichtet. Während der Vorgang der beamtenrechtlichen Remonstration sich in der Regel nicht vor den Augen der Öffentlichkeit abspielt, wird sich ein Publikwerden der bischöflichen Remonstration gegen ein päpstliches Gesetz meist nicht vermeiden lassen. Da das im Regelfall veröffentlichte päpstliche Gesetz durch die bischöfliche Remonstration suspendiert ist, d.h. in der betroffenen Diözese nicht angewandt wird, dürfte dies in der Regel auch den Vorgang der Remonstration in die Öffentlichkeit tragen. Dennoch erfordert die Ausübung des „ius remonstrandi“ durch einen Diözesanbischof an sich nicht zwingend den Schritt in die Öffentlichkeit, sondern es bedarf nur einer entsprechend vernünftig begründeten schriftlichen Mitteilung des Bischofs an den Papst.

Quelle: H.-J. Guth, Ius remonstrandi. Das Remonstrationsrecht des Diözesanbischofs im kanonischen Recht, Freiburg/Sch. – Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht, Bd. 4, 1999, 95-99.