Die Auseinandersetzunge in Rom werden schärfer

Am 24. 12. 2014 veröffentlichte der Schriftsteller Vittorio Messori im Corriere della sera einen Artikel gegen Papst Franziskus unter dem Titel: „Zweifel über die Winkelzüge von Papst Franziskus“, in dem er ihn unter anderem als „unberechenbar“ diffamiert. Daraufhin hat die Tageszeitung Avvenire mit einem Artikel zur Verteidigung des Papstes reagiert und die Webseite „Religion digital“ zitiert den genuesischen Pfarrer Paolo Farinella mit den Worten, dieser Artikel sein ein „Frontalangriff auf den Papst. Er ist eine echte Kriegserklärung, eine mafiöse Drohung. Als ob man sagen wolle: der Papst ist gefährlich, es wird Zeit, wieder den obersten Pontifex zu spielen und der Kurie die Aufgabe zu überlassen, die Kirche zu regieren.“, der möglicherweise von den Kardinälen Müller, Burke, Brandmüller, Caffara und De Paolis in Auftrag gegeben, die den konservativsten Teil der Kirche repräsentieren. Auch Leonardo Boff hat sich deutlich zur Verteidigung des Papstes zu Wort gemeldet. Wir dokumentieren den Artikel von Messori, einen Kommentar zum Gegenartikel im Avvenire und den Beitrag von Leonardo Boff:

Zweifel über die Winkelzüge von Papst Franziskus

von Vittorio Messori, Corriere della sera, 24. Dez. 2014

Um ehrlich zu sein, will ich es gleich jetzt zugeben: vielleicht missbrauche ich den mir zur Verfügung gestellten Platz, wenn ich hier eher eine persönliche Reflexion als einen Artikel unterbreite. Jedoch hätte ich diese Art Bekenntnis gerne noch aufgeschoben, wenn ich nicht geradezu dazu gedrängt worden wäre. Aber ja, ich hätte es gerne aufgeschoben, weil meine (und nicht nur meine) Bewertung dieses Pontifikats ständig zwischen Anhänglichkeit und Ratlosigkeit schwankt, weil sich die Stellungnahme stets ändert je nach Zeit, Gelegenheit und Themen. Dieser Papst kam nicht völlig überraschend: Sollte es etwas bedeuten, dann sage ich, ich gehörte zu denen, die einen Südamerikaner, einen Mann der Pastoral, einen Mann täglicher Leitungserfahrung erwarteten, sozusagen um eine Balance herzustellen zu dem bewundernswerten Professor, zu dem für einige Geschmäcker viel zu feinsinnigen Theologen wie den geliebten Joseph Ratzinger. Also ein nicht so überraschender Papst, der sich aber dann seit dem ersten „buonasera“ als unberechenbar erwies, so dass sogar einige Kardinäle, die zu seinen Wählern gehörten, nach und nach ihre Meinung änderten.
Diese Unberechenbarkeit stört fortwährend die Ruhe des durchschnittlichen Katholiken, der sich daran gewöhnt hat, in Fragen des Glaubens und der Moral nicht mit dem eigenen Kopf zu denken, und der Ermahnung gehorcht, einfach „dem Papst zu folgen“. Ja, aber welchem Papst? Jenem, der morgens in Santa Marta nach Art eines alten Pfarrers predigt, mit guten Ratschlägen und weisen Sprüchen, der aber auch eindringlich davor warnt, in die Fallen zu tappen, die der Teufel auslegt? Oder jenem Papst, der Giacinto Marco Pannella [dem Führer des linksorientierten Partido Radical], anruft, der gerade den x-ten harmlosen Hungerstreik durchführt, und dem er „gute Arbeit“ wünscht, wenn die „Arbeit“ dieses Führers der Radikalen darin bestanden hat und besteht, zu predigen, dass die wahre Nächstenliebe sich im Einsatz für Scheidung, Abtreibung, Euthanasie, Homosexualität für alle zeigt, in der Gender-Theorie et cetera et cetera?
Jenem Papst, der in der Rede dieser Tage an die Römische Kurie überzeugt auf Pius` XII (aber in Wahrheit auf Paulus) zurückgegriffen hat, als er die Kirche als „mystischen Leib Christi“ definierte? Oder jenem Papst, der im ersten Gespräch mit Eugenio Scalfari, jene verspottet, die glauben, dass „Gott katholisch ist“, so als ob die eine, heilige, apostolische, römische Kirche – je nach persönlichen Geschmack – ein optionales Zubehör zur Anhänglichkeit an die göttliche Dreieinigkeit sei oder nicht? Oder jenem argentinischen Papst, der aus unmittelbarer Erfahrung um das Drama Lateinamerikas weiß, das als ehemaliger katholischer Kontinent bereit ist, in Volksmassen zum Pfingst-Protestantismus überzulaufen? Oder jenem Papst, der das Flugzeug dazu benutzt, einen lieben Freund zu umarmen und viel Erfolg zu wünschen, der als Pastor in einer jener Gemeinden tätig ist, die die katholischen ausbluten, und zwar mit eben jenem Proselytismus, den er in seiner eigenen Kirche scharf verurteilt?
Natürlich könnte man mit diesen Aspekten, die widersprüchlich erscheinen – und es vielleicht sogar sind -, fortfahren. Man könnte, aber es wäre für einen Gläubigen nicht richtig. Dieser weiß, dass man den Papst nicht betrachten darf wie den gewählten Präsident einer Republik oder wie einen König, der zufällig der Erbe eines anderen Königs geworden ist. Sicher, im Konklave sind die wahlberechtigten Kardinäle, nach unserem Glauben, die Instrumente des Heiligen Geistes, die mit Gaben und Grenzen, mit Fehlern, vielleicht auch mit Sünden die Menschheit ausmachen. Aber der Kopf der einen wahren Kirche ist der allmächtige und allwissende Christus, der ein bisschen besser weiß als wir, was die beste Wahl für seinen derzeitigen irdischen Vertreter ist.
Diese Wahl kann in der eingeschränkten Sicht der Zeitgenossen unverständlich erscheinen, aber dann in der historischen Perspektive ihre Gründe offenbaren. Wer wirklich die Geschichte kennt, ist überrascht und nachdenklich, wenn er – in einer tausendjährigen Perspektive, die der Catholica eigen ist- entdeckt, dass jeder Papst, bewusst oder unbewusst seine für ihn passende Rolle spielte und sich, am Ende, als notwendig erwiesen hat.
Mit eben diesem Bewusstsein habe ich mich entschieden, zu beobachten, zu hören, nachzudenken, ohne allzu früh kühne, wenn nicht tollkühne Meinungen zu riskieren. Um auf eine auch häufig außerhalb des Kontextes zitierte Frage zurückzugreifen: „Wer bin ich, um darüber zu urteilen?“ Ich, der ich wie alle anderen, mit nur einer einzigen Ausnahme, sicherlich nicht durch ein „päpstliches Charisma“, durch die verheißene Assistenz des Parakleten unterstützt werde. Und für diejenigen, die urteilen wollen: Hat nicht die uneingeschränkte Zustimmung zum Handeln von Franziskus, die der in Stil, Bildung und sogar Programm so andere „emeritierte Papst“ mehrere Male mündlich und schriftlich wiederholt hat, eine gewisse Bedeutung?
Schrecklich ist die Verantwortung jener, die heute aufgefordert sind, auf die Frage zu antworten: „Wie kann man den Zeitgenossen das Evangelium verkünden? Wie kann man beweisen, dass Christus kein verblasstes, veraltetes Gespenst ist, sondern das menschliche Gesicht des Schöpfer- und Erlöser-Gottes, das dem Leben und dem Tod aller Sinn gibt?“ Darauf gibt es viele, oft widersprüchliche Antworten.
So wenig sie auch bedeuten mögen, nach Jahrzehnten kirchlicher Erfahrung hätte ich auch für mich Antworten gefunden. Ich hätte, sage ich: der Konditionalsatz ist notwendig, weil nichts und niemand mich dessen versichert, den richtigen Weg gefunden zu haben. Würde ich sonst nicht riskieren, wie der Blinde des Evangeliums zu sein, der andere Blinde führen will, dann aber alle in der Grube enden lässt? So überzeugen mich bestimmte pastorale Entscheidungen des „Bischofs von Rom“, wie er sich selbst gern bezeichnet; aber andere lassen mich verwirrt zurück, scheinen mir wenig angemessen, ja, eher verdächtig populistisch, dazu in der Lage, ein breites, aber oberflächliches und flüchtiges Interesse zu wecken. Ich hätte einige Dinge in Bezug auf Prioritäten und Inhalte anzumerken, wenn ich auf einen fruchtbaren apostolischen Dienst hoffe.
Ich hätte, ich dächte: im Konditionalsatz, ich wiederhole es, wie es die Perspektive des Glaubens verlangt, kann jeder, auch der Laie (daran erinnert das Kirchenrecht) über die Fragen der Evangelisierung seine wohlüberlegten und begründeten Gedanken äußern, dabei aber dem Menschen, der weißgewandet aus dem Konklave hervorging, die Generalstrategie und vor allem die wachsame Sorge über das „depositum fidei“ überlassen. Aber er sollte keinesfalls das vergessen, woran Franziskus selbst sogar in seiner heftigen Ansprache an die Kurie erinnert hat: Es ist einfach, sagte er, die Priester zu kritisieren, aber wie viele beten für sie? Er wollte wohl zugleich daran erinnern, dass er auf der Erde der „erste“ unter den Priestern sei. Und deshalb wohl auch seine Kritiker um jene Gebete bitten, über die die Welt lacht, die aber im Verborgenen das Schicksal der Kirche und der ganzen Welt lenken.

Übersetzung aus dem Spanischen: Norbert Arntz, ITP, Münster

Quellen:
1. Italienisch:
http://www.vittoriomessori.it/blog/2014/12/24/i-dubbi-sulla-svolta-di-papa-francesco/
2. Spanisch:
http://catolicos-on-line.org/index.php?option=com_content&view=article&id=4044%3Apapa&catid=37%3Acategoria-articulos&Itemid=28
3. Englisch:
http://rorate-caeli.blogspot.com/2014/12/vittorio-messori-doubts-on-twists-and.html

Die Tageszeitung der italienischen Bischöfe gegen Vittorio Messori

– Ein Bericht der website „Religion Digital“ vom 6. Januar 2015 –

Der meist sehr umsichtige und besonnene „Avvenire“ hat zur Verteidigung des Papstes das Wort ergriffen. Damit reagierte er auf einen Artikel, in dem der Vatikanexperte Messori behauptet hatte, der Papst sei so „unberechenbar“, dass er dabei sei, das Vertrauen derer zu verlieren, die ihn gewählt haben.
Die heftigen Attacken der römischen Kurie gegen die Revolution der Gepflogenheiten in der Kirche, die der Papst in Gang gesetzt hat, haben den Avvenire veranlasst, Position zu beziehen. Üblicherweise ist die Tageszeitung der italienischen Bischöfe sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, zu den unterschwelligen politischen Auseinandersetzungen im Vatikan Position zu beziehen. Jetzt hielt die Zeitung es für notwendig, einen vom Direktor Marco Tarquinio unterzeichneten Leitartikel zu veröffentlichen. Dessen Titel stellt als solcher bereits eine Positionierung dar: „Das Schiff des Petrus: wer gegen Franziskus rudert und wer ihm vertraut“. Eindeutiger könnte sich Tageszeitung der italienischen Bischöfe nicht artikulieren.
Was ist passiert? Am 24. Dezember veröffentlichte der Schriftsteller Vittorio Messori im „Corriere della Sera“, einer der einflussreichsten italienischen Tageszeitungen, einen höchst aggressiven Artikel gegen Papst Franziskus. Darin behauptete er, dass Franziskus „ein unberechenbarer Papst sei, so unberechenbar, dass er dabei sei, das Vertrauen einiger Kardinäle zu verlieren, die seine Wähler“ waren.
Nach Meinung Messori`s „stört diese Unberechenbarkeit den durchschnittlichen Katholiken“. Angesichts der üblichen Zurückhaltung in der italienischen Presse wurde das Faktum, dass der „Corriere della Sera“ einen Artikel dieser Tonart ausgerechnet am Weihnachtsabend veröffentlichte, so interpretiert, dass hier ein Teil der Kurie und der Konservativen im Vatikan öffentlich erklärt, gegen Bergoglio in den Krieg ziehen zu wollen.
Der Direktor des Avvenire äußerte seine Bestürzung darüber, dass ein renommierter Autor wie Messori und eine so einflussreiche Tageszeitung wie der „Corriere“ „meinten, sich zu provokativen Sprechern eines angeblich ‚durchschnittlichen Katholiken‘ machen zu müssen, der wegen der Worte und Gesten des Papstes seine Ruhe verloren habe“.
Für Tarquinio ist das alles andere als die belanglose Absicht, einen Widerspruch zu formulieren gegen „den Papst der Friedensmission, der sich als Bruder aller begreift, die verfolgt werden, insbesondere jener, die wegen ihres Glauben an Jesus verfolgt werden; gegen den Papst des uneingeschränkten Dialogs, der alle, die nach der Wahrheit hungern und dürsten, stärken und sättigen will.“
Die kirchliche Basis unterstützte Franziskus mit einer Welle von Briefen. Nach Angaben des Koordinators der italienischen Sektion der Basisbewegung „Wir sind Kirche“, Vittorio Bellavite, „hat dieser Wille, Franziskus zu unterstützen, mit der allgemeinen Situation in der Kirche zu tun und mit der zunehmend sich ausbreitenden unterschwelligen Feindseligkeit gegen den Papst“.
Aber Paolo Farinella, der beliebte Pfarrer einer Gemeinde am Hafen von Genua, geht noch viel weiter: für ihn ist der Artikel von Messori „ein Frontalangriff auf den Papst. Er ist eine echte Kriegserklärung, eine mafiöse Drohung. Als ob man sagen wolle: der Papst ist gefährlich, es wird Zeit, wieder den obersten Pontifex zu spielen und der Kurie die Aufgabe zu überlassen, die Kirche zu regieren.“
Als „Auftraggeber“ dieses Artikels bezeichnet Farinella die Kardinäle Müller, Burke, Brandmüller, Caffara und De Paolis, die den konservativsten Teil der Kirche repräsentieren.

Übersetzung aus dem Spanischen: Norbert Arntz, ITP, Münster

Papst Franziskus gegen seine Verleumder unterstützen

Leonardo Boff

In verschiedenen Teilen der Welt, vor allem unter Kardinälen und Menschen aus der Kurie, aber auch unter konservativen Laiengruppen formiert sich heftiger Widerstand gegen Papst Franziskus, um ihn mürbe zu machen. Sie verstecken sich hinter dem bekannten Konvertiten, Laien und Schriftsteller Vittorio Messori, um ihre Abneigung zum Ausdruck zu bringen.
Mit Trauer habe ich Vittorio Messori`s kritischen Artikel „Zweifel über die Winkelzüge des Papstes Franziskus“ im „Corriere della Sera“ gelesen, der genau an jenem Tag publiziert wurde, der dafür am wenigsten geeignet erscheint: an Heiligabend, am Fest des Licht und der Freude.
Der Autor hat Papst Franziskus, dem Guten Hirten für Rom und für die Welt, diese Freude verderben wollen. Aber vergeblich, denn er weiß nicht, was Barmherzigkeit und Spiritualität für diesen Papst bedeuten, Fähigkeiten, die Messori in seinem Artikel mit Sicherheit nicht unter Beweis stellt. Er verwendet die Worte Mitgefühl und Verständnis, aber sie sind vergiftet. Und zwar im Auftrag der vielen anderen, die hinter ihm stehen und nicht den Mut haben, in der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen.
Ich nehme mir vor, Franziskus anders zu deuten, sozusagen als Kontrapunkt gegen die Deutung Messori`s, einem Konvertiten, der meiner Meinung nach seine Konversion noch vervollständigen muss durch die Akzeptanz des Heiligen Geistes, damit er das, was er geschrieben hat, nicht ein weiteres Mal sagt.
Messori offenbart drei Mängel: zwei theologischer Art und eines über das Verständnis der Kirche in der Dritten Welt.
Messori ist über die „Unberechenbarkeit“ dieses Hirten schockiert, weil er „fortwährend die Ruhe des durchschnittlichen Katholiken“ stört.
Man muss nach der Art des Glaubens dieses „durchschnittlichen Katholiken“ fragen, der Schwierigkeiten hat, einen Hirten zu akzeptieren, der den Geruch der Schafe einfordert und „die Freude des Evangeliums“ verkündigt. Er ist im allgemeinen ein kultureller Katholik, der sich an die pharaonische Figur eines Papstes mit allen Symbolen der Macht der heidnischen römischen Kaiser gewöhnt hat.
Nun tritt ein franziskanischer Papst auf, „der die Armen liebt“, der keine „Prada“-Schuhe trägt, der ein System scharf kritisiert, das in vielen Teilen der Welt Elend verursacht; ein Papst, der die Kirche nicht nur für Katholiken öffnet, sondern für alle, die den Namen von „Männern und Frauen“ tragen, ohne über sie zu urteilen, und sie im Geist der „Revolution der Zärtlichkeit“ willkommen heißt, wie er es von den Bischöfen Lateinamerika´s im vergangenen Jahr in Rio de Janeiro verlangt hat.
Im Denken Messori´s klafft eine große Lücke. Es geht um die folgenden zwei theologischen Mängel: der Heilige Geist spielt nahezu keine Rolle. Mehr noch: Messori verfällt dem theologischen Irrtum des Christomonismus, das heißt, nur Christus zählt. Für den Heiligen Geist gibt es keinen Platz. Für alles in der Kirche ist Christus die Lösung. Das aber will der Jesus der Evangelien nicht. Warum sage ich das? Weil Messori die „Unberechenbarkeit“ des pastoralen Wirkens dieses Papstes beklagt.
Nun ja, eben das charakterisiert den Heiligen Geist, wie der Evangelist Johannes bestätigt: „Der Geist weht, wo er will; du hörst seine Stimme, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht“ (Joh 3,8). Es ist seine Art, plötzlich mit seinen Gaben und Charismen hereinzubrechen. Franziskus von Rom folgt dem Weg des Franziskus von Assisi und lässt sich vom Heiligen Geist lenken.
Messori ist Geisel einer linearen Vorstellung, die auch seinem „geliebten Joseph Ratzinger“ und früheren Päpste eigen war. Leider hat diese lineare Vorstellung die Kirche zu einer festen Burg gemacht, die nicht in der Lage ist, die Komplexität der modernen Welt zu begreifen, die sich von den anderen Kirchen und spirituellen Wegen selbst isoliert, keinen Dialog mit den anderen führt und von ihnen, die auch vom Heiligen Geist erleuchtet sind, nicht lernen kann. Man lästert den Heiligen Geist, wenn man das für irrig hält, was andere denken.
Aus all diesen Gründen ist eine offene Kirche, wie Franziskus aus Rom sie will, äußerst wichtig. Sie muss offen für die Einfälle des Geistes sein, den manche Theologen wegen seiner Kreativität und Innovationskraft in der Gesellschaft, in der Geschichte der Völker und einzelnen Menschen, in den Kirchen, darunter auch in der katholischen Kirche, als „Phantasie Gottes“ bezeichnen.
Ohne den Heiligen Geist wird die Kirche eine schwere, dumpfe, gnadenlose Institution, ohne Kreativität. Dann kommt irgendwann die Zeit, in der sie der Welt nichts mehr zu sagen hat, es sei denn Glaubenssätze, immer mehr Glaubenssätze, die weder Hoffnung noch Lebensfreude wecken.
Es ist ein Geschenk des Heiligen Geistes, dass dieser Papst von außen, nicht aus der alten europäischen Christenheit stammt. Er tritt nicht auf wie ein pedantischer Theologe, sondern als ein Hirte, der in die Tat umsetzt, was Jesus von Petrus verlangt hat: „Stärke deine Brüder im Glauben“ (Lk 22,31). Franziskus bringt die Erfahrungen der Dritte-Welt-Kirchen mit, insbesondere die Lateinamerikas.
Der andere Mangel im Denken Messori`s besteht darin, der Tatsache nicht genügend Rechnung zu tragen, dass heute das Christentum eine Religion der Dritten Welt ist, wie der deutsche Theologe Johann Baptist Metz viele Male betont hat. In Europa leben nur 25% Katholiken; 72,56% leben in der Dritten Welt (48,75% in Lateinamerika).
Warum darf aus dieser Mehrheit nicht jemand stammen, den der Heilige Geist zum Bischof von Rom und zum Papst der Weltkirche gemacht hat? Warum kann man die Erneuerung nicht akzeptieren, die von diesen Kirchen ausgeht, die nicht mehr die Kopien der alten europäischen Kirchen sind, sondern neu entstehende Kirchen mit ihren eigenen Märtyrern, Bekennern und Theologen?
Vielleicht wird in der Zukunft der Primatssitz nicht mehr Rom und die Kurie sein mit all ihren Widersprüchen, die Franziskus in der Versammlung mit den Kardinälen und Prälaten aus der Kurie aufgedeckt hat, und zwar mit Worten, die eigentlich nur aus dem Munde Luthers hätten kommen können, und weniger eindeutig aus meinem Buch „Kirche, Charisma und Macht“ (1984), das von Kardinal Ratzinger verurteilt wurde. Vielleicht wird in Zukunft der Primatssitz dort sein, wo die meisten Katholiken leben: in Amerika, Afrika oder Asien. Das wäre ein angemessenes Zeichen wahrer Katholizität der Kirche im Prozess der Globalisierung des menschlichen Daseins.
Von Vittorio Messori mit seinen Verdiensten als renommiertem Schriftsteller und als Katholiken, der einem bestimmten Kirchentyp treu ist, habe ich, ehrlich gesagt, mehr Intelligenz und Offenheit erwartet. Dieser Papst Franziskus hat Hoffnung und Freude bei vielen, vielen Katholiken und anderen Christen geweckt. Diese Gabe des Geistes sollten wir uns durch die eher negative Argumentation über ihn nicht streitig machen lassen.

Übersetzung aus dem Spanischen: Norbert Arntz, ITP, Münster
Quellen:
http://www.periodistadigital.com/religion/opinion/2014/12/30/leonardo-boff-es-sumamente-importante-una-iglesia-abierta-al-espiritu-como-la-quiere-francisco-iglesia-religion-dios-jesus.shtml
http://amerindiaenlared.org/noticia/467/apoyar-al-papa-francisco-contra-sus-detractores/