Statements zum Abschluss der Versammlung

Die folgenden Statements wurden am 17.11. zum Abschluss der Versammlung in Rom vorgetragen.

Statement von Pilar Puertas, Mexiko / Deutschland:

Die Wahrnehmungen und die Erfahrungen, die wir in diesen Tagen geteilt haben, zeigen uns, dass es nicht nur nötig sondern auch dringend notwendig ist, die Realität von der Rückseite der Geschichte, d. h. von unten, zu sehen und zu interpretieren.

In verschiedenen Momenten während dieser Veranstaltung haben wir gesehen, welches heute die Zeichen der Zeit sind: Kriege, vielfältige Formen von Gewalt, die der Neoliberalismus hervorbringt, Abertausende Flüchtlinge auf der ganzen Welt, die den Ort verlassen müssen, an dem sie zu Hause sind. Heute nicht mehr nur, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern sondern weil es ihnen unmöglich ist, in ihrer Heimat aufgrund der furchtbaren Kombination von Elend und Gewalt zu bleiben.

Ein weiteres Zeichen der Zeit ist die grenzenlose Ausbeutung der Naturressourcen, die Klimaverwüstung hervorbringt und damit eine Zunahme von Naturkatastrophen, die die Möglichkeiten eines würdigen Lebens aller aktuell und zukünftig lebenden Menschen zerstört.

Noch Zeichen der Zeit sind die ungleiche und ungerechte Verteilung des Reichtums, die eine immer grösser werdende Kluft zwischen Armen und Reichen produziert. Und auch alle Fundamentalismen, hervorgerufen durch die Angst vor dem Anderen, dem Verschiedenen. Diese Fundamentalismen vergrößern die Globalisierung des Individualismus und vor allem der Gleichgültigkeit.

Wir leben in schwierigen Zeiten, in denen es jedoch auch Hoffnung gibt. Natürlich denke ich, dass wir nicht einfach naive Optimisten sein können, aber unsere Hoffnung entsteht aus der Überzeugung, dass es in der Welt Millionen Menschen gibt, die wie wir unzufrieden sind und ihre Empörung und ihre, wie die Zapatisten sagen, „digna rabia“ in Mut zum Wagnis verwandeln.

Die Wiederaneignung der subversiven Traditionen des Konzils, unserer Geschichte von Kämpfen und Widerständen ist eine Quelle der Hoffnung und der Inspiration, weil sie uns erlaubt, in anderer Weise die aktuellen Herausforderungen anzunehmen. Zugleich sehen wir, dass der Widerstand nicht nur eine Option ist, sondern eine Lebensweise für Millionen Menschen. Überall entstehen weitere Kämpfe: mit oder auf der Seite der Armen, für die Rechte der Flüchtlinge, für den Schutz der Erde, für die Veränderung der Verhältnisse und Strukturen, die das Leben in Würde für alle Menschen bedeuten.

Meiner Meinung nach beenden wir diese Veranstaltung gestärkt, um weiter davon zu träumen, dass es möglich ist, eine andere Kirche in einer anderen Welt zu errichten, von der wir in diesen Tagen so viel gesprochen haben.

Zum Schluss möchte ich den Satz von Dom Helder Camara, den wir am Samstag im Gottesdienst gesungen haben, zitieren: „Wenn einer alleine träumt, dann ist es nur ein Traum, aber wenn viele gemeinsam träumen, dann ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“

 

Statement von Franziska Wintermantel, (Theologie-Studentin aus Freiburg)

Erinnern und erneuern – unter diesen beiden Begriffen stand diese Tagung, die wir heute beenden. Das Jubiläum des Katakombenpakts.

Erinnern und erneuern, das spiegelte sich vielleicht auch in der Zusammensetzung der TeilnehmerInnen wieder. Es haben sich Generationen getroffen, sie sind miteinander ins Gespräch gekommen und konnten von einander lernen. Wir, die „junge Generation“, konnte von den Erinnerungen und Erfahrungen der „älteren Generation“ lernen. Und wir konnten gemeinsam überlegen, wie wir die Gedanken, die im Katakombenpakt formuliert wurden, erneuern, wie wir sie in die Gegenwart übersetzen.

Übersetzen. Welche Bedeutung dieses Stichwort hat, wurde mir auch beim Thema der Generationen neu bewusst: Ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, nicht nur zwischen den Sprachen zu übersetzen, sondern auch zwischen den Generationen. Doch wer kann das machen? Jeder und Jede! Wir müssen nur lernen einander zuzuhören; zuhören, bevor wir über Andere urteilen.

Und wir müssen mutig sein. Die, die bereits mutig waren, können nun den Mut und das Vertrauen haben, dass die Ideale, für die sie einstehen und eingestanden sind, nicht verloren gehen. Und der neuen Generation die Freiheit lassen, neue Wege für alte Ideale zu gehen.

 

Befreiungstheologie – was bedeutet das für mich als Christin, als Theologin? Es wurde mir in außerordentlichem Maße bewusst, wie sehr das, was ich an der Uni versuche theoretisch, wissenschaftlich zu durchdringen und zu denken, nichts ist, ohne dessen Auswirkungen für unser Handeln zu bedenken. Ich muss mir immer überlegen: Was hat das für eine Bedeutung für mein Leben, für mein Handeln? Kirche ist Teil der Gesellschaft. Und so komme ich nicht umhin mich in der Gesellschaft zu verhalten, mich zu gesellschaftlichen Themen zu verhalten. Ich darf mich nicht hinter irgendeiner Theologie, nicht hinter meinem Glauben verstecken, sondern ich muss mich politisch positionieren, ich muss politisch sein.

Das kann Angst machen, das kann überfordern. Aber ich habe hier Motivation und Hoffnung bekommen. Ich habe Biographien kennen gelernt, die mir Mut machen. Außerdem macht es mir außerordentlich viel Mut, dass ich damit nicht alleine bin. Es sitzen hier etwa 300 Menschen vor mir, die eine ähnliche Idee haben. Menschen, die neben mir und hinter mir stehen.

 

Es war für mich spannend zu sehen, wie anschlussfähig das Thema der Befreiungstheologie ist. Ich habe erkannt, wie eng andere Themen, die mir auch wichtig sind, mit der Befreiungstheologie verknüpft sind:

Zum Beispiel Feminismus: Diskriminierung, Entrechtung und Armut sind auch und besonders Themen, die Frauen betreffen, also können das ebenfalls Themen der feministischen Theologie sein. Es geht darum, denen eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden. Und dass das ein spezifisch theologisches Thema ist, lehrt uns die Bibel.

Auch das ist ein Aspekt – wenn auch ein sehr naheliegender –, den ich persönlich hier neu wiederentdeckt habe: Die Bibel kann Anleitung und Richtmaß sein für mein Leben.

Ein weiterer Punkt, den die Befreiungstheologie anschlussfähig macht, ist die Interreligiosität: Freiheit, Befreiung, Menschenwürde sind nicht spezifisch christlich. Es sind Werte, die alle Menschen gleichermaßen betreffen. Und so auch alle Religionen. Darüber können und müssen wir uns gemeinsam – über konfessionelle und religiöse Grenzen hinaus – Gedanken machen.

Und schließlich die sozialethische Perspektive: An der Flüchtlingsproblematik können wir wieder sehen, dass sich genau hier Theologie entscheidet. Wir müssen uns die Frage stellen, wie die Theologie in der Flüchtlingsdebatte verordnet werden kann – und wie die Flüchtlingsdebatte anders herum in der Theologie verortet werden kann. Wenn wir an einem jüdisch-christlichen Gottesbild festhalten wollen, wenn wir sagen „Gott ist die Liebe“, ja, dann wissen wir eigentlich was wir zu tun haben!

Die Beschäftigung mit dem Katakombenpakt und der Befreiungstheologie hat mir wieder einmal gezeigt, dass wir eine Theologie brauchen, die von den Menschen ausgeht. Und nicht umgekehrt.

 

Statement von Kacem Gharbi, muslimischer Befreiungstheologe ausTunesien

Als ich mich 2011 dazu entschied, meine Doktorarbeit zur Theologie der Befreiung zu schreiben, warnte mich mein Doktorvater vor der Ablehnung, auf die ich treffen würde. Was er jedoch nicht wusste, war, dass ich viele Freunde und Compagnons de Lutte/Companeros de lucha unter denen treffen würde, die ich jetzt vor mir habe.

2013 habe ich meinem Freund Francois Houtart eine Frage zu den notwendigen (gesellschaftlichen) Veränderungen gestellt und ihn gefragt, wie lange es dazu bräuchte? Ein Jahrhundert, hat er geantwortet.

Erlaubt mir/erlauben Sie mir, optimistisch zu sein und zu sagen, dass das nichts in der Geschichte der Menschheit ist. Dank uns allen, die wir hier sind, kann ich mit meinen eigenen Augen bereits die Revolution und die Veränderungen sehen.

Ich bin mit sehr vielen Fragen hierher gekommen. Ich fahre mit sehr vielen Fragen und einigen Antworten nach Hause. Im arabisch-muslimischen Kontext wird es nötig sein, die Geschichte von der Religion her zu verstehen und diese, die Geschichte zu entsakralisieren.

Danke, dass ihr mich eingeladen habt und so sage ich „bis bald“ inchallah.

 

Statement von Philipp Geitzhaus, ITP, Deutschland

Die Erneuerung steht noch aus

Ein Abschluss

„Den Katakombenpakt erinnern und erneuern“ war der Titel unserer Versammlung. Und das haben wir getan. Uns ist es gelungen 260 Christinnen und Christen, Engagierte politischer und Kirchenreform-Gruppen, StudentInnen, sogar eine Firmgruppe in Rom zu versammeln, um den Katakombenpakt und die Kirche der Armen zu erinnern. Wir haben in diesen Tagen viele compañeras und compañeros wieder getroffen und viele neue Menschen kennen gelernt. Uns ist es auch gelungen, zusammen mit Luigi Bettazzi und Jon Sobrino in der Domitila-Katakombe den 50. Jahrestag zu feiern. Aber unsere Versammlung hat ja nicht erst hier in Rom begonnen. 2012 haben wir in Frankfurt mit der Konziliaren Versammlung einen Startpunkt gesetzt und uns als ChristInnen die Aufgabe gestellt, „ein menschenwürdigeres und naturverträglicheres Leben für alle zu ermöglichen. [Sowie uns] einem Denken und Handeln in Politik und Wirtschaft [zu widersetzen], das uns weismachen will, es gebe keine Alternative zur kapitalistischen Weltordnung.“ Diese Überzeugung sahen wir in „engster Verbindung mit der Reich-Gottes-Botschaft Jesu, die vom Konzil neu ins Bewusstsein gebracht wurde“, wie wir es in der Botschaft der Konziliaren Versammlung schrieben. Die Erinnerung daran, dass Veränderungen und Brüche schon einmal möglich waren, hat uns mit Hoffnung erfüllt, auch die gegenwärtigen Verhältnisse als veränderbar zu begreifen. Doch diese Einsicht ist natürlich vorerst auch nicht mehr als eben: eine Einsicht. Zur Genüge wissen wir, dass der Weg des Gottesreiches immer einer der konkreten Nachfolge ist. Das bedeutet mindestens den Weg der konkreten Solidarität und die Bereitschaft aufzustehen, sich zu bewegen und sich – als Kirche – zu organisieren.

Erneuern

Doch dieses Sich-Bewegen, diese Bereitschaft ist gleichzeitig auch die entscheidende Herausforderung, wenn wir vom „Erneuern“ sprechen. Viele hier haben zu Recht gefragt, wie es denn um die Erneuerung des Katakombenpaktes steht. Ich sehe darin das unglaublich starke Bedürfnis, sich dieser „Globalisierung der Gleichgültigkeit“, wie es Franziskus sagt, zu widersetzen, endlich ihr Gegenteil zu beweisen. Das ganze Leid, welches Flüchtlinge auf Grund der deutschen bzw. EU Migrationspolitik, angetan wird, Anschläge, wie im Libanon oder wie in Frankreich sollen endlich beendet sein. Ya basta, es reicht, ist ein Slogan der zapatistischen Bewegung Mexikos. Doch um dieser Globalisierung der Gleichgültigkeit ihr Gegenteil zu beweisen, bedarf es mehr als Selbstverpflichtungen. Eine Erneuerung des Katakombenpaktes ist nicht durch eine Neuauflage der Selbstverpflichtungen eingelöst. Eine Erneuerung gelingt nur mit der Bereitschaft, sich auf den Prozess der Veränderung einzulassen, wie die Bischöfe von 1965.

Mitgehen

Wenn wir nun aber an die Bischöfe des Katakombenpaktes denken, müssen wir uns bewusst werden, dass nicht das Ereignis des Paktes selbst, sondern vielmehr, das, was den Pakt zu einem Ereignis hat werden lassen, das Zentrale ist. Was soll das bedeutende am einfachen Leben sein? Das einfache Leben ist nicht das eigentlich Entscheidende. Sondern der Katakombenpakt ist ein Kristallisationspunkt einer ganzen Bewegung innerhalb der christlichen Kirchen: Nämlich der Bewegung von Christinnen, von Armgemachten und denen, die an ihrer Seite für ihre Befreiung kämpften. Und für diese Bewegung standen in den Kirchen vor allem die Laien, Männer und Frauen aus dem Volk Gottes. Das ist auch die Gemeinsamkeit zu unserer Versammlung, die vor allem eine der Laien ist. Doch vielleicht, ja bestimmt, ist dieser Aspekt des Volkes Gottes in diesen Tagen zu kurz gekommen. Die Bischöfe entwickelten ihr Handeln nicht nur aus sich selbst, sondern sie reagierten auf schon bestehende Bewegungen. Sie entschlossen sich, mit ihnen zu gehen als Teil des Volk Gottes. Dahinter steht die Erkenntnis, dass die Idee von Gerechtigkeit und Gleichheit sich nur im gemeinsamen Prozess verwirklichen lässt.

Konfliktivität

In diesen Tagen konnten wir alle deutlich merken, dass solche gemeinsamen Prozesse nicht vom Himmel fallen. Wir konnten sogar alle erleben, dass sie häufig mit leidenschaftlichen Konflikten verknüpft sind. Unsere Versammlung war dahingehend sicher keine leichte. Aber was können wir anderes erwarten, wenn wir über Nachfolge und Reich Gottes sprechen? Wir sprechen damit über Positionierung, Hoffnung und häufig auch über erfahrene Niederlagen. Wir haben erfahren, dass eine „Kirche der Armen“ keine simple Konsensidee ist, bei der man einfach mal so zustimmen kann. Und das hält die Auseinandersetzung darum lebendig. Doch konnten und können wir uns mit der Konfliktivität nicht zufrieden geben.

Die Erneuerung steht noch aus

Erneuern bleibt also der zentrale Auftrag an uns alle, der sich an diese Tage anschließt. Hier in Rom konnten wir uns nur all zu sehr vor Augen führen, dass eine Erneuerung des Katakombenpaktes noch aussteht. Dass sich eine Erneuerung nur an ihren Früchten erweist, wie es Luigi Bettazzi so schön sagte. Diese Früchte mögen noch nicht zur Kenntnis genommen werden und erst das Ergebnis mühevoller Arbeit sein. Aber der Horizont dieser Erneuerung kann nicht groß genug gedacht werden. Es geht darum, sich nicht mit weniger zufrieden zu geben, als einer Welt in der ein Leben in Fülle für alle, nicht mehr nur Verheißung sondern Realität geworden ist.