Die Kirche im Aufbruch – eine Fundamentalreform? Eine kommentierende Lektüre von Evangelii Gaudium. Teil 2

Die Kirche im Aufbruch

Eine Fundamentalreform?

Philipp Geitzhaus

Die „Kirche in der Dynamik des Aufbruchs“, „hinausgehen aus der eigenen Bequemlichkeit“, „die Initiative ergreifen“. Das sind die zentralen Begriffe des ersten Kapitels des neuen Lehrschreibens von Papst Franziskus. Das ist auch die Sprache, mit der er die Reform der Kirche als Ganzer charakterisiert wissen möchte. Im ersten (der fünf) Kapitel geht es nämlich um die Reform der Kirche, die Franziskus nicht einfach an einzelnen Korrekturen festmacht, die letztendlich nicht die ganze Kirche als Volk Gottes betreffen, sondern die bis an die Wurzeln der Kirche und ihres Glaubens reichen soll. Sie soll zu einer missionarischen Kirche werden, einer Kirche in Bewegung und sie soll sich in allem, was sie tut, so strukturieren, dass sie dieser Aufgabe (wieder) nachkommt. Anders ausgedrückt: Jede Reform muss unter dem Gesichtspunkt der missionarischen Relevanz geschehen.

Das ist der erste und notwendige Schritt, um als Kirche die Freude des Evangeliums leben und mitteilen zu können. Die Gründe für eine Umgestaltung der Kirche, welche Franziskus bewegen, können aus dem Schreiben nur indirekt herausgearbeitet werden. Doch wenn man sich die bisherige Symbolpolitik des Papstes sowie seine Interviews und Ansprachen ins Gedächtnis ruft, erlangt das Programm von Franziskus’ eine klare Linie. Dort ging und geht es vor allem um den Abbau des Reichtums und der Arroganz der Kirche als Ganzer. Sie soll eine arme Kirche für die Armen werden, die sich vor allem etwa bei den Flüchtlingen an den militarisierten Grenzen (Lampedusa), wo der Papst die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ anprangerte, zu erkennen gibt sowie bei den protestierenden Jugendlichen: „Ich mag keinen Jugendlichen, der nicht protestiert“1 sagte Franziskus beim Weltjugendtag zur Zeit großer Proteste im Sommer 2013 in Brasilien.

Solche klaren Worte sind in diesem Lehrschreiben hingegen nicht durchgängig zu finden, so auch in diesem Kapitel nicht, was auf die Textform zurückzuführen ist. Schließlich handelt es sich um ein Grundsatzpapier, welches an die gesamte Kirche gerichtet ist. Doch gerade deshalb ist es wichtig, auf seine Andeutungen, Bezüge und Komposition zu achten, um besser die Zielrichtung des Schreibens zu verstehen.

Der Bewegungscharakter des Evangeliums

Zu Beginn des ersten Kapitels mit der Überschrift „die missionarische Umgestaltung der Kirche“ erinnert Franziskus an den Missionsauftrag Jesu aus dem Matthäusevangelium: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28, 19-20) (19). Klingt dieser Auftrag aus der Feder eines Papstes aber nicht wieder extrem herrschaftlich und kolonial? Doch Franziskus geht es nicht um eine abstrakte Wahrheit und ein abstraktes Glaubensbekenntnis, welches alle zu „glauben“ haben. Sondern sein Fokus liegt ganz auf dem Bewegungscharakter dieses Auftrags: „Geht zu allen Völkern“. Der Auferstandene sendet die Seinen, „das Evangelium zu jeder Zeit und an allen Orten zu verkünden“ (19). Und Franziskus schreibt weiter: „Im Wort Gottes erscheint ständig diese Dynamik des ‚Aufbruchs’“ (20). In späteren Kapiteln werden wir erfahren, was Franziskus darunter versteht, das Evangelium zu verkünden, also zu evangelisieren. „Evangelisieren bedeutet, das Reich Gottes in der Welt gegenwärtig machen“ (176). Oder um eine frühere Formulierung des Papstes wieder aufzunehmen, muss es darum gehen die mögliche gerechte Welt Gottes der Globalisierung der Gleichgültigkeit entgegenzusetzen.2 Dieser Auftrag richtet sich aber nicht nur an bestimmte Gruppen der Kirche, sondern an jede Christin und jede Gemeinschaft. Obgleich es so viele Unterschiede der jeweiligen christlichen Berufungen gibt, diese eine ist allen Christ_innen gemeinsam: „hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und den Mut haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen“ (20). Solche Randgebiete können in ihrer unmittelbarsten Bedeutung die Grenzzonen der reichen Länder sein. Wieder sei an den Lampedusa-Besuch des Papstes, kurz nach seiner Amtseinführung, erinnert. Die Mittelmeergrenze ist mit ihren ca. 20.000 toten Migrant_innen innerhalb der letzten 20 Jahre alles andere als ein von Freude erfüllter Ort.3 Doch genau solche Orte werden zum Kriterium für die jesuanische Freude. Die wahrhafte Freude der Christ_innen muss an solchen Randgebieten wirksam werden, das heißt sie muss Menschen „Leben geben“ (10). Franziskus schreibt: „Jesus erlebt sie [die missionarische Freude], als er im Heiligen Geist vor Freude jubelt und den Vater preist, weil seine Offenbarung die Armen und die Kleinsten erreicht (vgl. Lk 10,21)“ (21). Dabei weist Franziskus darauf hin, dass es nicht „die Kirche“ oder „der Papst“ oder ähnliche sind, die entscheiden, wann und wie eine Freude gültig ist. Es ist nämlich die „gesamte Gemeinde“ (24) (also das Volk Gottes), die evangelisiert und dies auf sehr vielfältige Weise tut. Es verhält sich demnach nicht so, dass der Papst, oder die Bischöfe das Evangelium gültig repräsentieren (bzw. diejenigen Christ_innen, die nur die Meinungen der Kirchenspitze reproduzieren). Diese Egalität ist für einen Papst ungewöhnlich. Franziskus schreibt: „Die Kirche muss diese unfassbare Freiheit des Wortes akzeptieren, das auf seine Weise und in sehr verschiedenen Formen wirksam ist, die gewöhnlich unsere Prognosen übertreffen und unsere Schablonen sprengen“ (22). Dies hat der Papst selbst bei den protestierenden Jugendlichen in Brasilien erlebt, bei denen er die Fähigkeit erkannt hat, „zu atmen und nach vorne zu schauen“. Diese „Jugendlichen besitzen mehr Frische, die Dinge beim Namen zu nennen“4, so Franziskus in einem Interview.

Im Sinne dieses Bewegungscharakters der Bibel muss die Kirche „eine Kirche im Aufbruch“ werden, „eine Kirche, die die Initiative ergreift“ und die „die Menschheit begleitet“ (24). Für den Papst ist klar, dass selbst eine Kirche, die einfach arm ist, nicht ausreicht und zu nichts dient. Doch die Kirche, wenn sie die evangelisierende Gemeinde sein will, „stellt sich durch Werke und Gesten in das Alltagsleben der anderen, verkürzt die Distanzen, erniedrigt sich nötigenfalls bis zur Demütigung und nimmt das menschliche Leben an, indem sie im Volk mit dem leidenden Leib Christi in Berührung kommt“ (24). Die Armut der Kirche5 ist also nicht mit bloßer Askese zu verwechseln, sondern sie muss in den bestehende Verhältnissen, die er als „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ und als „Wegwerfkultur“ (53) bezeichnet, das Reich Gottes gegenwärtig machen und sich für Verhältnisse engagieren, die ein würdiges Leben für alle Menschen ermöglichen, anstatt Verhältnisse zu belassen (oder sogar an ihnen mitzuwirken), die es vernichten. Es muss also um eine Welt gehen, in der Menschen nicht mehr „ausgeschlossen“ werden und als „Müll“ gelten (53). So ein Engagement wäre ein Schritt hin auf eine gerechte Welt Gottes. Damit wird die Kirche aber unweigerlich eine „Kirche der Unruhigen“ bzw. eine „störende Kirche“6 gegenüber den Mächtigen. Franziskus weiß um die Schwierigkeiten, ja berechtigten Ängste, die damit verbunden sind. In klaren Worten spricht er vom Zögern, Widerstehen und der Angst das Evangelium zu verkünden (22). Doch will er alle Christ_innen ermutigen, sich einzusetzen, indem er die Freude ins Zentrum stellt. Der Papst zitiert die Engel im Lukasevangelium, die zu den Hirten auf dem Feld sagen: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll“ (Lk 2,10) (23). Damit erinnert er an die biblische Verheißung, dass eine wirkliche Gemeinschaft aller Menschen in Freude möglich ist, obwohl dies so abgegriffen und billig – nicht einmal mehr traumtänzerisch – klingt. Das macht unsere Hoffnung aus! Zur Erinnerung: Wenn der Papst von Freude spricht, geht es nie um eine bloß oberflächliche oder innerliche Freude, sondern die Freude, die Franziskus meint, zeichnet sich durch konkretes „Leben geben“ und ein Leben in Würde und Gemeinschaft aus. „Freude“ in diesem Sinne besitzt folglich immer eine mystische und eine politische Tiefenstruktur.

In besonderer – aber nicht exklusiver – Weise hat die Freude mit ihrer Doppelstruktur ihren Ort in der Liturgie. In ihr werden das Wort Gottes und „seine befreiende und erneuernde Kraft“ (24) aufgenommen. Vor allem aber ist sie Ausdruck der Feier aller (kleinen) Siege und Schritte auf dem Weg der Evangelisierung (24). Und auch hier bei der Liturgie zeigt sich der Grundimpuls des Papstes deutlich: Die Liturgie soll ganz der Missionsdynamik dienen, indem sie zur „Quelle eines erneuerten Impulses zur Selbsthingabe“ wird, um „das Gute zu fördern“ (24). Die missionarische Umgestaltung der Kirche gilt also wirklich allen kirchlichen Vollzügen. Als Erinnerungs-, Dankes- und Aufbruchsfeier kann die Liturgie diesem Umgestaltungsprozess in verdichteter Form Ausdruck und „Schönheit“ (24) verleihen.

Die Initiative ergreifen

Mit diesen wenigen Abschnitten, die hier vorgestellt wurden, sind die Abhandlungen des Papstes über die Reform der Kirche natürlich noch nicht abgeschlossen. Damit die Kirche zu einer Kirche im Aufbruch werden kann, müssen sich viele Bereiche der Kirche verändern. Mit anderen Worten: Damit sie die gerechte Welt Gottes in der Welt vergegenwärtigen kann (vgl. 176), muss es ihr gelingen eine glaubwürdige und wirksame Praxis an Orten wie Lampedusa, zu entwickeln, die diese unwürdigen Verhältnisse radikal verändert. Das heißt, das ganze Volk Gottes, muss die Initiative ergreifen. „Die evangelisierende Gemeinde spürt, dass der Herr die Initiative ergriffen hat, ihr in der Liebe zuvorgekommen ist (vgl. 1 Joh 4,10), und deshalb weiß sie voranzugehen, versteht sie, furchtlos die Initiative zu ergreifen, auf die anderen zuzugehen, die Fernen zu suchen und zu den Wegkreuzungen zu gelangen, um die Ausgeschlossenen einzuladen“ (24). Deshalb muss sich der fundamentale Charakter der Reform als Neuausrichtung der Kirche in ganz konkreten Vollzügen der Kirche niederschlagen. Denn genauso, wie bloße Reformen ohne klare Linie keinem Menschen dienen, muss sich eine klare Linie deutlich materialisieren; sie muss konkrete Gestalt annehmen.

Philipp Geitzhaus, Stud. theol./ Münster. Mitarbeit um Institut für Theologie und Politik

1 Radio Vatikan: Papst im TV-Interview: „Ich mag keinen Jugendlichen, der nicht protestiert“, auf: http://de.radiovaticana.va/news/2013/07/29/papst_im_tv-interview:_%E2%8%9Eich_mag_keinen_jugendlichen,_der_nicht/ted-715143 des Internetauftritts von Radio Vatikan (zuletzt abgerufen am  26.01.2014)

2 Vgl. ebd.

3 Entsprechendes gilt für die USA-Mexiko-Grenze.

4 Ebd.

5 Die Formulierung „Kirche der Armen“ taucht zwar in diesem Kapitel nicht auf, doch ist Franziskus ganzes Programm von diesem Gedanken geprägt. Man kann also ohne weiteres sagen, dass, wenn der Papst von Kirche spricht, er immer eine arme Kirche für die Armen im Blick hat.

6 Katja Strobel: „Kirche der Armen“ hier und heute“ Kritische Überlegungen zur Erinnerung an den Katakombenpakt, in: Institut für Theologie und Politik (Hg.): Der doppelte Bruch. Das umkämpfte Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ein Werkbuch, Münster 2011, S. 79.

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Der Text

ERSTES KAPITEL

DIE MISSIONARISCHE UMGESTALTUNG DER KIRCHE

19. Die Evangelisierung folgt dem Missionsauftrag Jesu: »Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe« (Mt 28,19-20). In diesen Versen ist der Moment dargestellt, in dem der Auferstandene die Seinen aussendet, das Evangelium zu jeder Zeit und an allen Orten zu verkünden, so dass der Glaube an ihn sich bis an alle Enden der Erde ausbreite.

I.    Eine Kirche „im Aufbruch“

20. Im Wort Gottes erscheint ständig diese Dynamik des „Aufbruchs“, die Gott in den Gläubigen auslösen will. Abraham folgte dem Aufruf, zu einem neuen Land aufzubrechen (vgl. Gen 12,1-3). Mose gehorchte dem Ruf Gottes: »Geh! Ich sende dich« (Ex 3,10), und führte das Volk hinaus, dem verheißenen Land entgegen (vgl. Ex 3,17). Zu Jeremia sagte Gott: »Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen« (Jer 1,7). Heute sind in diesem „Geht“ Jesu die immer neuen Situationen und Herausforderungen des Evangelisierungsauftrags der Kirche gegenwärtig, und wir alle sind zu diesem neuen missionarischen „Aufbruch“ berufen. Jeder Christ und jede Gemeinschaft soll unterscheiden, welches der Weg ist, den der Herr verlangt, doch alle sind wir aufgefordert, diesen Ruf anzunehmen: hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen.

21. Die Freude aus dem Evangelium, die das Leben der Gemeinschaft der Jünger erfüllt, ist eine missionarische Freude. Die zweiundsiebzig Jünger, die voll Freude von ihrer Sendung zurückkehren, erfahren sie (vgl. Lk 10,17). Jesus er-lebt sie, als er im Heiligen Geist vor Freude jubelt und den Vater preist, weil seine Offenbarung die Armen und die Kleinsten erreicht (vgl. Lk 10,21). Voll Verwunderung spüren sie die Ersten, die sich bekehren, als am Pfingsttag, in der Predigt der Apostel, »jeder sie in seiner Sprache reden« hört (Apg 2,6). Diese Freude ist ein Zeichen, dass das Evangelium verkündet wurde und bereits Frucht bringt. Aber sie hat immer die Dynamik des Aufbruchs und der Gabe, des Herausgehens aus sich selbst, des Unterwegsseins und des immer neuen und immer weiteren Aussäens. Der Herr sagt: »Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen!« (Mk 1,38). Wenn der Same an einem Ort ausgesät ist, hält Jesus sich dort nicht mehr auf, um etwas besser zu erklären oder um weitere Zeichen zu wirken, sondern der Geist führt ihn, zu anderen Dörfern aufzubrechen.

22. Das Wort Gottes trägt in sich Anlagen, die wir nicht voraussehen können. Das Evangelium spricht von einem Samen, der, wenn er einmal ausgesät ist, von sich aus wächst, auch wenn der Bauer schläft (vgl. Mk 4,26-29). Die Kirche muss diese unfassbare Freiheit des Wortes akzeptieren, das auf seine Weise und in sehr verschiedenen Formen wirksam ist, die gewöhnlich unsere Prognosen übertreffen und unsere Schablonen sprengen.
23. Die innige Verbundenheit der Kirche mit Jesus ist eine Verbundenheit auf dem Weg, und die Gemeinschaft »stellt sich wesentlich als missionarische Communio dar«.20 In der Treue zum Vorbild des Meisters ist es lebenswichtig, dass die Kirche heute hinausgeht, um allen an allen Orten und bei allen Gelegenheiten ohne Zögern, ohne Widerstreben und ohne Angst das Evangelium zu verkünden. Die Freude aus dem Evangelium ist für das ganze Volk, sie darf niemanden ausschließen. So verkündet es der Engel den Hirten von Bethlehem: »Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll« (Lk 2,10). Die Offenbarung des Johannes spricht davon, dass »den Bewohnern der Erde ein ewiges Evangelium zu verkünden [ist], allen Nationen, Stämmen, Sprachen und Völkern« (Offb 14,6).

Die Initiative ergreifen, sich einbringen, begleiten, Frucht bringen und feiern

24. Die Kirche „im Aufbruch“ ist die Gemeinschaft der missionarischen Jünger, die die Initiative ergreifen, die sich einbringen, die begleiten, die Frucht bringen und feiern. „Primerear – die Initiative ergreifen“: Entschuldigt diesen Neologismus! Die evangelisierende Gemeinde spürt, dass der Herr die Initiative ergriffen hat, ihr in der Liebe zuvorgekommen ist (vgl. 1 Joh 4,10), und deshalb weiß sie voranzugehen, versteht sie, furchtlos die Initiative zu ergreifen, auf die anderen zuzugehen, die Fernen zu suchen und zu den Wegkreuzungen zu gelangen, um die Ausgeschlossenen einzuladen. Sie empfindet einen unerschöpflichen Wunsch, Barmherzigkeit anzubieten – eine Frucht der eigenen Erfahrung der unendlichen Barmherzigkeit des himmlischen Vaters und ihrer Tragweite. Wagen wir ein wenig mehr, die Initiative zu ergreifen! Als Folge weiß die Kirche sich „einzubringen“. Jesus hat seinen Jüngern die Füße gewaschen. Der Herr bringt sich ein und bezieht die Seinen ein, indem er vor den anderen niederkniet, um sie zu waschen. Aber dann sagt er zu den Jüngern: »Selig seid ihr, wenn ihr das wisst und danach handelt« (Joh 13,17). Die evangelisierende Gemeinde stellt sich durch Werke und Gesten in das Alltagsleben der anderen, verkürzt die Distanzen, erniedrigt sich nötigenfalls bis zur Demütigung und nimmt das menschliche Leben an, indem sie im Volk mit dem leidenden Leib Christi in Berührung kommt. So haben die Evangelisierenden den „Geruch der Schafe“, und diese hören auf ihre Stimme. Die evangelisierende Gemeinde stellt sich also darauf ein, zu „begleiten“. Sie begleitet die Menschheit in all ihren Vorgängen, so hart und langwierig sie auch sein mögen. Sie kennt das lange Warten und die apostolische Ausdauer. Die Evangelisierung hat viel Geduld und vermeidet, die Grenzen nicht zu berücksichtigen. In der Treue zur Gabe des Herrn weiß sie auch „Frucht zu bringen“. Die evangelisierende Gemeinde achtet immer auf die Früchte, denn der Herr will, dass sie fruchtbar ist. Sie nimmt sich des Weizens an und verliert aufgrund des Unkrauts nicht ihren Frieden. Wenn der Sämann inmitten des Weizens das Unkraut aufkeimen sieht, reagiert er nicht mit Gejammer und Panik. Er findet den Weg, um dafür zu sorgen, dass das Wort Gottes in einer konkreten Situation Gestalt annimmt und Früchte neuen Lebens trägt, auch wenn diese scheinbar unvollkommen und unvollendet sind. Der Jünger weiß sein ganzes Leben hinzugeben und es als Zeugnis für Jesus Christus aufs Spiel zu setzen bis hin zum Martyrium, doch sein Traum ist nicht, Feinde gegen sich anzusammeln, sondern vielmehr, dass das Wort Gottes aufgenommen werde und seine befreiende und erneuernde Kraft offenbare. Und schließlich versteht die fröhliche evangelisierende Gemeinde immer zu „feiern“. Jeden kleinen Sieg, jeden Schritt vorwärts in der Evangelisierung preist und feiert sie. Die freudige Evangelisierung wird zur Schönheit in der Liturgie inmitten der täglichen Anforderung, das Gute zu fördern. Die Kirche evangelisiert und evangelisiert sich selber mit der Schönheit der Liturgie, die auch Feier der missionarischen Tätigkeit und Quelle eines erneuerten Impulses zur Selbsthingabe ist.