Die Vorbereitung auf die Predigt. Eine kommentierende Lektüre von Evangelii Gaudium. Teil 8

Von Prof. Dr. Norbert Mette. Welchen wichtigen Stellenwert Papst Franziskus der Predigt im Gesamt der Verkündigung des Evangeliums gibt, geht bereits aus einem Passus in seinem Interview mit P. Antonio Spadaro SJ hervor. Dort heißt es: „Eine schöne Predigt, eine echte Predigt muss beginnen mit der ersten Verkündigung, mit der Botschaft des Heils. Es gibt nichts Solideres, Tieferes, Festeres als diese Verkündigung. Dann muss eine Katechese kommen. Dann kann auch eine moralische Folgerung gezogen werden. Aber die Verkündigung der heilbringenden Liebe Gottes muss der moralischen und religiösen Verpflichtung vorausgehen. Heute scheint oft die umgekehrte Ordnung vorzuherrschen. Die Homilie ist der Maßstab, um Nähe und Fähigkeit der Begegnung zwischen Seelsorger und Volk zu messen. Wer predigt, muss das Herz seiner Gemeinschaft kennen, um zu sehen, wo die Frage nach Gott lebendig und heiß ist. Die evangelische Botschaft darf nicht auf einige Aspekte verkürzt werden. Auch wenn diese wichtig sind, können sie nicht allein das Zentrum der Lehre Jesu zeigen.“1 Hier ist prägnant zusammengefasst, was für eine gute Predigt erforderlich ist: ein Sich-Erschließen der jeweiligen Textstelle aus der Heiligen Schrift gewissermaßen als der eine Pol und das Vertrautsein mit der Lebenswelt derer, an die sich die Predigt richtet – mit ihren Höhen und Tiefen, die sich darin abspielen.

Papst Franziskus weiß um das Leiden an der Predigt: Predigten, die langweilig sind; Predigten, in denen der Prediger mehr auf Selbstdarstellung erpicht ist als auf die Auslegung der biblischen Perikope; Predigten, bei denen mit Schaueffekten gearbeitet wird, um die Hörer/innen bei Laune zu halten und anderes mehr. Deswegen befasst er sich eigens ausführlich mit der Vorbereitung auf die Predigt, um zu zeigen, wie Predigen gelingen kann – nicht mit dem Anspruch, dass alle Predigten vollkommen sein müssen – das werden sie nie sein, solange Predigen ein Tun von Menschen ist –, sondern dass sie ihrer ureigenen Aufgabe entsprechen: die befreiende Botschaft von der Liebe und Treue Gottes den heutigen Menschen zu übermitteln.

Die Passage über die Vorbereitung auf die Predigt innerhalb des Apostolischen Schreibens bedarf keines ausführlichen Kommentars, weil sie sehr eingängig geschrieben ist. Der Papst entfaltet hier keine allgemeine Predigtlehre, sondern den Hintergrund für seine Ausführungen bilden offensichtlich seine eigenen Erfahrungen mit der Predigtvorbereitung. Der Religionspädagoge Ingo Baldermann hat einmal bemerkt, dass ein Religionslehrer oder eine Religionslehrerin, die im Unterricht eine Bibelstelle mit den Schüler/innen behandeln möchte, mit dem eigenen Impuls in die Klasse gehen solle: „Ich muss Euch jetzt eine Geschichte erzählen!“ Der Lehrer oder die Lehrerin müsse also so von dieser zu behandelnden Bibelstelle innerlich ergriffen sein, müsse sie für das eigene Leben als so wichtig erfahren haben, dass sie getrieben seien, ihren Schüler/innen diese Botschaft weitergeben möchten: Es tut Euch gut, wenn Ihr begreift, was diese Bibelstelle Euch für Euer Leben zu sagen hat! Das bedeutet aber auch, dass die Lehrerin oder der Lehrer selbst die jeweilige Perikope immer wieder neu lesen muss, auch wenn sie eigentlich bereits sattsam bekannt sein sollte, um in ihr bisher so nicht Gesehenes zu entdecken. Was Baldermann für den Bibelunterricht geltend macht, gilt entsprechend auch für das Predigen, so wie es Papst Franziskus praktiziert wissen möchte – etwas, was er ja selbst Tag für Tag während des Gottesdienstes im Gästehaus St. Martha tut.

Die folgenden Bemerkungen beschränken sich auf ein paar Hinweise zu besonders markanten Punkten innerhalb des vorliegenden Abschnitts.

– Predigen als „Dienst an der Wahrheit“

Den Begriff „Dienst an der Wahrheit“ hat der Papst aus „Evangelii nuntiandi“, also aus dem Apostolischen Schreiben Papst Pauls VI über die Evangelisierung in der Welt von heute aus dem Jahr 1975 übernommen. Zum besseren Verständnis, was damit gemeint ist, seien aus diesem Schreiben die beiden ersten Absätze aus dem Abschnitt 78 zitiert:

„Das Evangelium, mit dem Wir betraut sind, ist auch Wort der Wahrheit. Eine Wahrheit, die frei macht und die allein den Frieden des Herzens vermittelt, das ist es, was die Menschen suchen, wenn Wir ihnen die Frohbotschaft verkünden: Wahrheit über Gott, Wahrheit über den Menschen und seine geheimnisvolle Bestimmung, Wahrheit über die Welt; eine schwierige Wahrheit, die wir im Worte Gottes suchen und von der … gilt, dass Wir weder ihre Meister noch ihre Besitzer sind, sondern nur die Verkünder, die Diener.

Von jedem Träger der Evangelisierung wird erwartet, dass er die Wahrheit verehrt, um so mehr als ja die Wahrheit, die er vertieft oder mitteilt, nichts anderes ist als die geoffenbarte Wahrheit und damit mehr als jede andere Teil der Urwahrheit, die Gott selber ist. Der Prediger des Evangeliums muss also jemand sein, der selbst um en Preis persönlichen Verzichtes und gar Leidens immer die Wahrheit sucht, die er den anderen übermitteln soll. Er wird die Wahrheit niemals verraten noch verbergen, um den Menschen zu gefallen, ihr Staunen zu erregen oder sie zu schockieren, weder durch Originalität noch im Drang nach Geltung. Er verweigert sich der Wahrheit nicht. Er verdunkelt die geoffenbarte Wahrheit nicht, weil er zu träge wäre, sie zu suchen, oder aus Bequemlichkeit oder auch aus Furcht. Er versäumt nicht, sie zu studieren. Er dienst ihr großzügig, ohne sie zu vergewaltigen.“2

Um dieser Wahrheit willen ist zur Vorbereitung auf die Predigt – nach der Anrufung des Heiligen Geistes – ein intensives Studium des jeweiligen biblischen Textes erforderlich, mit Geduld und ohne sich von anderen Dingen ablenken zu lassen. Der Prediger soll nicht dabei allerdings nicht in Details verlieren, sondern sich die Hauptbotschaft des Textes vergegenwärtigen und dabei auch die Intention des Verfassers im Auge haben. Schließlich ist, um irrige Auslegungen zu vermeiden, die jeweilige Textstelle im Gesamt der biblischen Botschaft zu sehen. (146-148)

Um anderen die Botschaft des biblischen Textes mitteilen zu können, müssen die, die darüber zu predigen haben, ihn zuallererst gewissermaßen sich selbst gepredigt haben. D.h., dass sie sich von dem Text haben ergreifen lassen müssen, so wie es oben im Anschluss an Ingo Baldermann dargelegt worden ist. Die Predigt muss von den Hörer/innen als authentisches Zeugnis der Person, die predigt, wahrgenommen werden können – wobei Authentizität gerade nicht Makellosigkeit bedeutet. (149-151)

Als Methode der Schriftlesung für die Predigtvorbereitung empfiehlt Papst Franziskus die „Lectio divina“, die geistliche Lesung (152-153). Er greift hier zurück auf eine bis in die neutestamentliche Zeit zurückreichende Tradition einer spirituellen Beschäftigung mit der Heiligen Schrift, die die gelesenen Texte mit der eigenen Lebens- und Glaubenserfahrung in Verbindung bringt. Sie zielt darauf, die „Bibel so zu lesen (lectio), dass sie zum lebendigen und bewegenden Wort Gottes (divina) wird“3 Im Laufe der Zeit wurden dazu ein Vorgehen in fünf Schritten ausgebildet: das Lesen (lectio), das Bedenken (meditatio), das Beten (oratio) das Betrachten (contemplatio) und Tun (actio). In der Offenbarungskonstitution „Dei verbum“ des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde diese Art der Schriftlesung wieder aufgegriffen und empfohlen (DV 25). Im Anschluss daran haben sich wiehere methodische Varianten der lectio divina ausgebildet (z.B. Bibelteilen).4

Wie bereits vermerkt, bildet den zweiten Pol für das Predigen und die Vorbereitung darauf, das „Ohr beim Volk“ zu haben oder – wie Martin Luther es als Prinzip für seine Übersetzung der Heiligen Schrift genommen hat – dem Volk aufs Maul zu schauen. „Es geht darum“, so heißt es dazu in Abschn. 154, „die Botschaft des biblischen Textes mit einer menschlichen Situation zu verbinden, mit etwas aus ihrem Leben, mit einer Erfahrung, die das Licht des Wortes Gottes braucht.“ Als solche Erfahrungen werden dann beispielhaft benannt: „Freude über ein Wiedersehen, die Enttäuschungen, die Angst vor der Einsamkeit, das Mitleid mit dem Schmerz andere, die Unsicherheit angesichts der Zukunft, die Sorge um einen lieben Menschen“ (155).

Wie das erreicht werden kann, dafür führt das Schreiben ein paar „pädagogische Mittel“ an (156-159). Denn es reiche nicht zu wissen, was zu predigen ist, sondern müsse auch gelernt worden sein, wie das getan werden kann. Einen bewährten Ratschlag übernimmt der Papst aus der Bibel: „Dräng die Worte zusammen, fasse dich kurz“ (Sir 32,8). Weiterhin empfiehlt er den Gebrauch einer bilderreichen Sprache, die Verwendung von Zeichen und Symbolen, die den Leuten vertraut sind, um ihnen so die Botschaft der Bibel vertraut werden zu lassen. Überhaupot sollte sich die Sprache durch Einfachheit auszeichnen, die Sprache der Leute sprechen und nicht über ihre Köpfe und Herzen hinwegreden. Es sei, so hat der Papst an anderer Stelle ausgeführt, ernst zu nehmen, dass sich das Wort Gottes der menschlichen Sprache bediene. Schließlich betont der Papst, es gelte positiv zu sprechen, nicht in Gejammer und Klage sich zu verbeißen, sondern Mut machen, Hoffnung wecken.

Wenn der Papst von der Predigt (Homilie) und dem Prediger spricht, dann tut er das im herkömmlichen Sinne: Ort der Predigt ist die Liturgie und zu predigen fällt als Aufgabe dem Vorsteher der Liturgie zu, also dem zelebrierenden Priester oder Bischof – oder noch dem Diakon – zu. Dass auch Laien, Männer und Frauen, die Aufgabe der Predigt übernehmen könnten, blendet er aus, obwohl ja am Anfang des 3. Kapitels von ihm betont worden ist, dass das ganze Volk Gottes das Evangelium verkündet.

Eine zweite Schwäche der hier kommentierten Passage besteht m.E. darin, dass er die Vorbereitung auf die Predigt im privaten Raum des Predigers stattfinden lässt. Dabei gibt es gute Erfahrungen, wenn Predigten aus einem gemeinsamen Gespräch über die Perikope erwachsen.

Weiterhin hebt das Schreiben bei seiner Betonung der Bezugnahme auf Erfahrungen stark auf existenzielle Erfahrungen ab, wie sie individuell wie intersubjektiv gemacht werden. Gegenüber einer „politischen Predigt“ legt es – so lese ich jedenfalls Abschn. 155 – legt es eher Reserven an den Tag. Das verwundert, weil das folgende Kapitel 4 die soziale – und damit auch politische – Dimension als konstitutiv für die Evangelisierung herausstellt. Nicht zuletzt die Bibel selbst ist voll von Einmischungen angesichts ungerechter und unfriedlicher Verhältnisse. Und nicht wenige Prediger und Predigerinnen waren im Verlauf der Christentumsgeschichte den herrschenden Kräften deswegen ein Ärgernis, das es auszumerzen galt, weil sie mit ihren Predigten ihre Kreise störten.

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Der Text:

II. Die Homilie

135. Wenden wir uns jetzt der Verkündigung innerhalb der Liturgie zu, die von den Hirten sehr ernst genommen werden muss. Ich werde besonders – und sogar mit einer gewissen Akribie – bei der Homilie und ihrer Vorbereitung verweilen, denn in Bezug auf diesen wichtigen Dienst gibt es viele Beschwerden, und wir dürfen unsere Ohren nicht verschließen. Die Homilie ist der Prüfstein, um die Nähe und die Kontaktfähigkeit eines Hirten zu seinem Volk zu beurteilen. In der Tat wissen wir, dass die Gläubigen ihr große Bedeutung beimessen; und sie, wie die geweihten Amtsträger selbst, leiden oft, die einen beim Zuhören, die anderen beim Predigen. Es ist traurig, dass das so ist. Dabei kann die Homilie wirklich eine intensive und glückliche Erfahrung des Heiligen Geistes sein, eine stärkende Begegnung mit dem Wort Gottes, eine ständige Quelle der Erneuerung und des Wachstums.

136. Erneuern wir unser Vertrauen in die Verkündigung, das sich auf die Überzeugung gründet, dass Gott es ist, der die anderen durch den Prediger erreichen möchte, und dass er seine Macht durch das menschliche Wort entfaltet. Der heilige Paulus spricht mit Nachdruck über die Notwendigkeit zu predigen, weil der Herr die anderen auch mit unserem Wort erreichen wollte (vgl. Röm 10,14-17). Mit dem Wort hat unser Herr das Herz der Menschen gewonnen. Von überallher kamen sie, um ihn zu hören (vgl. Mk 1,45). Sie staunten, indem sie seine Lehren gleichsam „aufsogen“ (vgl. Mk 6,2). Sie spürten, dass er zu ihnen sprach wie einer, der Vollmacht hat (vgl. Mk 1,27). Mit dem Wort zogen die Apostel, die er eingesetzt hatte, »die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten« (Mk 3,14) alle Völker in den Schoß der Kirche (vgl. Mk 16,15.20).

Der liturgische Kontext

137. Es muss nun daran erinnert werden, dass »die liturgische Verkündigung des Wortes Gottes, vor allem im Rahmen der Eucharistiefeier, nicht nur ein Augenblick der Erbauung und Katechese, sondern das Gespräch Gottes mit seinem Volk ist, ein Gespräch, in dem diesem die Heilswunder verkündet und immer wieder die Ansprüche des Bundes vor Augen gestellt werden«112. Es gibt eine besondere Wertschätzung für die Homilie, die aus ihrem eucharistischen Zusammenhang herrührt und sie jede Katechese überragen lässt, da sie den Höhepunkt des Gesprächs zwischen Gott und seinem Volk vor der sakramentalen Kommunion darstellt. Die Homilie nimmt den Dialog auf, der zwischen dem Herrn und seinem Volk bereits eröffnet wurde. Wer predigt, muss das Herz seiner Gemeinde kennen, um zu suchen, wo die Sehnsucht nach Gott lebendig und brennend ist und auch wo dieser ursprünglich liebevolle Dialog erstickt worden ist oder keine Frucht bringen konnte.

138. Die Homilie darf keine Unterhaltungs-Show sein, sie entspricht nicht der Logik medialer Möglichkeiten, muss aber dem Gottesdienst Eifer und Sinn geben. Sie ist eine besondere Gattung, da es sich um eine Verkündigung im Rahmen einer liturgischen Feier handelt; folglich muss sie kurz sein und vermeiden, wie ein Vortrag oder eine Vorlesung zu erscheinen. Der Prediger mag fähig sein, das Interesse der Leute eine Stunde lang wach zu halten, aber auf diese Weise wird sein Wort wichtiger als die Feier des Glaubens. Wenn die Homilie sich zu sehr in die Länge zieht, schadet sie zwei Merkmalen der liturgischen Feier: der Harmonie zwischen ihren Teilen und ihrem Rhythmus. Wenn die Verkündigung im Kontext der Liturgie geschieht, wird sie eingefügt als Teil der Opfergabe, die dem Vater dargebracht wird, und als Vermittlung der Gnade, die Christus in der Feier ausgießt. Ebendieser Kontext verlangt, dass die Verkündigung die Gemeinde und auch den Prediger auf eine Gemeinschaft mit Christus in der Eucharistie hin ausrichtet, die das Leben verwandelt. Das erfordert, dass das Wort des Predigers nicht einen übertriebenen Raum einnimmt, damit der Herr mehr erstrahlt als der Diener.

Das Gespräch einer Mutter

139. Wir haben gesagt, dass das Volk Gottes durch das ständige Wirken des Geistes in ihm fortwährend sich selber evangelisiert. Was bringt diese Überzeugung für den Prediger mit sich? Sie erinnert uns daran, dass die Kirche Mutter ist und zum Volk so predigt wie eine Mutter, die zu ihrem Kind spricht im Bewusstsein, dass das Kind darauf vertraut, dass alles, was sie es lehrt, zu seinem Besten ist, denn es weiß sich geliebt. Außerdem weiß die gute Mutter alles anzuerkennen, was Gott in ihr Kind hineingelegt hat, hört seine Sorgen an und lernt von ihm. Der Geist der Liebe, der in einer Familie herrscht, leitet die Mutter ebenso wie das Kind in ihren Gesprächen, wo gelehrt und gelernt wird, wo man korrigiert und das Gute würdigt; und so geschieht es auch in der Homilie. Der Heilige Geist, der die Evangelien inspiriert hat und der im Volk Gottes wirkt, inspiriert auch die rechte Art, wie man auf den Glauben des Volkes hören muss und wie man in jeder Eucharistie predigen muss. Die christliche Predigt findet daher im Herzen der Kultur des Volkes eine Quelle lebendigen Wassers, sei es, um zu wissen, was sie sagen soll, sei es, um die angemessene Weise zu finden, es zu sagen. Wie es uns allen gefällt, wenn man in unserer Muttersprache mit uns spricht, so ist es auch im Glauben: Es gefällt uns, wenn man im Schlüssel der „mütterlichen Kultur“, im Dialekt der Mutter zu uns spricht (vgl. 2 Makk 7,21.27), und das Herz macht sich bereit, besser zuzuhören. Diese Sprache ist eine Tonart, die Mut, Ruhe, Kraft und Impuls vermittelt.

140. Dieser mütterlich-kirchliche Bereich, in dem sich der Dialog des Herrn mit seinem Volk abspielt, muss durch die herzliche Nähe des Predigers, die Wärme des Tons seiner Stimme, die Milde des Stils seiner Sätze und die Freude seiner Gesten gefördert und gepflegt werden. Auch in den Fällen, wo die Predigt sich als etwas langweilig herausstellt, wird sie, wenn dieser mütterlich-kirchliche Geist gegeben ist, immer fruchtbar sein, so wie die langweiligen Ratschläge einer Mutter mit der Zeit im Herzen der Kinder Frucht bringen.

141. Voll Bewunderung steht man vor den Möglichkeiten, die der Herr eingesetzt hat, um mit seinem Volk ins Gespräch zu kommen, um sein Geheimnis allen zu offenbaren, um die Leute mit so erhabenen und so anspruchsvollen Lehren zu faszinieren. Ich glaube, dass sich das Geheimnis in jenem Blick Jesu auf das Volk verbirgt, der über dessen Schwächen und Sünden hinausgeht: »Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben« (Lk 12,32); in diesem Geist predigt Jesus. Voller Freude im Heiligen Geist preist er den Vater, der die Kleinen anzieht: »Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast« (Lk 10,21). Der Herr findet wirklich Gefallen daran, sich mit seinem Volk zu unterhalten, und dem Prediger kommt die Aufgabe zu, seine Leute diese Freude des Herrn erfahren zu lassen.

Worte, die die Herzen entfachen

142. Ein Dialog ist weit mehr als die Mitteilung einer Wahrheit. Er kommt zustande aus Freude am Reden und um des konkreten Gutes willen, das unter denen, die einander lieben, mit Hilfe von Worten mitgeteilt wird. Es ist ein Gut, das nicht in Dingen besteht, sondern in den Personen selbst, die sich im Dialog einander schenken. Eine rein moralistische oder unterweisende Verkündigung und auch jene, die zu einer Exegese-Vorlesung wird, schränkt diese Kommunikation zwischen den Herzen ein, die in der Homilie gegeben ist und die einen geradezu sakramentalen Charakter haben muss: »So gründet der Glaube in der Botschaft, die Botschaft im Wort Chris-ti« (Röm 10,17). In der Homilie geht die Wahrheit mit der Schönheit und dem Guten einher. Es handelt sich nicht um abstrakte Wahrheiten oder kalte Syllogismen, denn es wird auch die Schönheit der Bilder mitgeteilt, die der Herr gebrauchte, um anzuregen, das Gute zu tun. Das Gedächtnis des gläubigen Volkes muss wie das von Maria von den wunderbaren Taten Gottes überfließen. In der Hoffnung auf eine freudige und mögliche Übung der ihm verkündeten Liebe spürt sein Herz, dass jedes Wort der Schrift vor allem Geschenk und erst in zweiter Linie Anspruch ist.

143. Die Herausforderung einer inkulturierten Predigt besteht darin, die „Synthese“ der Botschaft des Evangeliums und nicht zusammenhanglose Ideen oder Werte zu übermitteln. Wo deine „Synthese“ liegt, da ist dein Herz. Der Unterschied zwischen dem Erklären von Ideen ohne inneren Zusammenhang und dem Erklären einer „Synthese“ ist derselbe wie der zwischen der Langeweile und dem Brennen des Herzens. Der Prediger hat die sehr schöne und schwierige Aufgabe, die Herzen, die sich lieben, zu vereinen: das des Herrn und die seines Volkes. Das Gespräch zwischen Gott und seinem Volk stärkt weiter den Bund zwischen ihnen und festigt das Band der Liebe. Während der Zeit der Homilie schweigen die Herzen der Gläubigen und lassen ihn sprechen. Der Herr und sein Volk reden in tausendfacher Weise direkt miteinander, ohne Mittler. In der Homilie aber wollen sie, dass jemand sich zum Werkzeug macht und die Empfindungen zum Ausdruck bringt, so dass in der Folge jeder entscheiden kann, wie er das Gespräch fortsetzen will. Das Wort ist wesentlicher Mittler und erfordert nicht nur die beiden Gesprächspartner, sondern auch einen Prediger, der es als solches darstellt in der Überzeugung, dass »wir nämlich nicht uns selbst verkündigen, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen« (2 Kor 4,5).

144. Mit Herz sprechen schließt ein, dass man ihm nicht nur das innere Feuer bewahren muss, sondern auch das Licht, das ihm aus der Offenbarung in ihrer Gesamtheit zufließt und aus dem Weg, den das Wort Gottes im Herzen der Kirche und unseres gläubigen Volkes im Laufe der Geschichte zurückgelegt hat. Die christliche Identität, die jene Umarmung in der Taufe darstellt, die der himmlische Vater uns geschenkt hat, als wir noch klein waren, lässt uns wie „verlorene Söhne“ – die in Maria sein besonderes Wohlgefallen genießen – sehnlich die andere Umarmung des barmherzigen Vaters begehren, der uns in der Herrlichkeit erwartet. Dafür zu sorgen, dass unser Volk sich wie inmitten dieser beiden Umarmungen fühlt, ist die schwere, aber schöne Aufgabe dessen, der das Evangelium verkündet.

III. Die Vorbereitung auf die Predigt

145. Die Vorbereitung auf die Predigt ist eine so wichtige Aufgabe, dass es nötig ist, ihr eine längere Zeit des Studiums, des Gebetes, der Reflexion und der pastoralen Kreativität zu widmen. In aller Freundlichkeit möchte ich hier nun einen Weg der Vorbereitung auf die Homilie vorschlagen. Es sind Hinweise, die einigen als selbstverständlich erscheinen mögen, aber ich halte es für angebracht, sie zu empfehlen, um an die Notwendigkeit zu erinnern, diesem wertvollen Dienst eine bevorzugte Zeit zu widmen. Manche Pfarrer pflegen dagegen einzuwenden, das sei aufgrund der vielen Obliegenheiten, die sie erledigen müssen, nicht möglich. Dennoch wage ich zu bitten, dass dieser Aufgabe jede Woche persönlich wie gemeinschaftlich eine ausreichend lange Zeit gewidmet wird, selbst wenn dann für andere, ebenfalls wichtige Aufgaben weniger Zeit übrig bleibt. Das Vertrauen auf den Heiligen Geist, der in der Verkündigung wirkt, ist nicht rein passiv, sondern aktiv und kreativ. Es schließt ein, sich mit allen eigenen Fähigkeiten als Werkzeug darzubieten (vgl. Röm 12,1), damit sie von Gott genutzt werden können. Ein Prediger, der sich nicht vorbereitet, ist nicht „geistlich“, er ist unredlich und verantwortungslos gegenüber den Gaben, die er empfangen hat.

Der Dienst der Wahrheit

146. Nachdem man den Heiligen Geist angerufen hat, ist der erste Schritt, die ganze Aufmerksamkeit dem biblischen Text zu widmen, der die Grundlage der Predigt sein muss. Wenn jemand innehält und zu verstehen versucht, was die Botschaft eines Textes ist, übt er den »Dienst der Wahrheit«113 aus. Es ist die Demut des Herzens, die anerkennt, dass das Wort Gottes uns immer übersteigt, dass wir »weder ihre Besitzer nochihre Herren sind, sondern nur ihre Hüter, ihre Herolde, ihre Diener«114. Diese Haltung einer demütigen und staunenden Verehrung des Wortes Gottes äußert sich darin, dabei zu verweilen, es sehr sorgfältig zu studieren, in heiliger Furcht davor, es zu manipulieren. Um einen biblischen Text auslegen zu können, braucht es Geduld, muss man alle Unruhe ablegen und Zeit, Interesse und unentgeltliche Hingabe einsetzen. Man muss jegliche Besorgnis, die einen bedrängt, beiseite schieben, um in ein anderes Umfeld gelassener Aufmerksamkeit einzutreten. Es ist nicht der Mühe wert, einen biblischen Text zu lesen, wenn man schnelle, einfache oder unmittelbare Ergebnisse erzielen will. Deshalb erfordert die Vorbereitung auf die Predigt Liebe. Einzig den Dingen oder Personen, die man liebt, widmet man eine Zeit, ohne Gegenleistung zu erwarten und ohne Eile; und hier geht es darum, Gott zu lieben, der sprechen wollte. Von dieser Liebe her kann man die ganze Zeit, die nötig ist, in der Haltung des Jüngers verweilen: »Rede, Herr; denn dein Diener hört« (1 Sam 3,9).

147. Vor allem muss man sicher sein, die Bedeutung der Worte, die wir lesen, entsprechend zu verstehen. Ich möchte etwas betonen, das offenkundig scheint, aber nicht immer berücksichtigt wird: Der biblische Text, den wir studieren, ist zwei- oder dreitausend Jahre alt, seine Sprache ist ganz verschieden von der, die wir heute benutzen. So sehr es uns auch scheinen mag, die Worte zu verstehen, die in unsere Sprache übersetzt sind, bedeutet das nicht, dass wir auch richtig verstehen, was der heilige Verfasser ausdrücken wollte. Die verschiedenen Mittel, die die literarische Analyse bietet, sind bekannt: auf die Worte achten, die sich wiederholen oder die hervorstechen, die Struktur und die eigene Dynamik eines Textes erkennen, den Platz bedenken, den die Personen einnehmen usw. Aber das Ziel ist nicht, alle kleinen Details eines Textes zu verstehen. Das Wichtigste ist zu entdecken, was die Hauptbotschaft ist, die dem Text Struktur und Einheit verleiht. Wenn der Prediger diese Anstrengung nicht unternimmt, dann ist es möglich, dass auch seine Predigt keine Einheit und Ordnung hat; seine Rede wird nur eine Summe verschiedener unzusammenhängender Ideen sein, die nicht imstande sind, die anderen zu bewegen. Die zentrale Botschaft ist die, welche der Autor an erster Stelle übermitteln wollte, was einschließt, nicht nur den Gedanken zu erkennen, sondern auch die Wirkung, die jener Autor erzielen wollte. Wenn ein Text geschrieben wurde, um zu trös-ten, sollte er nicht verwendet werden, um Fehler zu korrigieren; wenn er geschrieben wurde, um zu ermahnen, sollte er nicht verwendet werden, um zu unterweisen; wenn er geschrieben wurde, um etwas über Gott zu lehren, sollte er nicht verwendet werden, um verschiedene theologische Meinungen zu erklären; wenn er geschrieben wurde, um zum Lobpreis oder zur Missionsarbeit anzuregen, lasst ihn uns nicht verwenden, um über die letzten Neuigkeiten zu informieren.

148. Gewiss, um den Sinn der zentralen Botschaft eines Textes entsprechend zu verstehen, ist es notwendig, ihn mit der von der Kirche überlieferten Lehre der gesamten Bibel in Zusammenhang zu bringen. Das ist ein wichtiges Prinzip der Bibelauslegung, das die Tatsache berücksichtigt, dass der Heilige Geist nicht nur einen Teil, sondern die ganze Bibel inspiriert hat und dass das Volk in einigen Fragen aufgrund der gemachten Erfahrung in seinem Verständnis des Willens Gottes gewachsen ist. Auf diese Weise werden falsche oder parteiische Auslegungen vermieden, die anderen Lehren derselben Schrift widersprechen. Doch das bedeutet nicht, den eigenen und besonderen Akzent des Textes, über den man predigen muss, abzuschwächen. Einer der Fehler einer öden und wirkungslosen Predigt ist genau der, nicht imstande zu sein, die eigene Kraft des verkündeten Textes zu übermitteln. Der persönliche Umgang mit dem Wort

149. Der Prediger muss »zuallererst selber eine große persönliche Vertrautheit mit dem Wort Gottes entwickeln: Für ihn genügt es nicht, dessen sprachlichen oder exegetischen Aspekt zu kennen, der sicher auch notwendig ist; er muss sich dem Wort mit bereitem und betendem Herzen nähern, damit es tief in seine Gedanken und Gefühle eindringt und in ihm eine neue Gesinnung erzeugt«.115 Es tut uns gut, jeden Tag, jeden Sonntag unseren Eifer in der Vorbereitung der Homilie zu erneuern und zu prüfen, ob in uns die Liebe zu dem Wort, das wir predigen, wächst. Man sollte nicht vergessen, dass »im Besonderen die größere oder geringere Heiligkeit des Dieners tatsächlich die Verkündigung des Wortes beeinflusst«116. Der heilige Paulus sagt: »Wir predigen nicht […] um den Menschen, sondern um Gott zu gefallen, der unsere Herzen prüft« (1 Thess 2,3-4). Wenn in uns der Wunsch lebendig ist, als Erste auf das Wort zu hören, das wir predigen sollen, wird sich dieses auf die eine oder andere Weise auf das Volk Gottes übertragen: »Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund« (Mt 12,34). Die Sonntagslesungen werden in ihrem ganzen Glanz im Herzen des Volkes widerhallen, wenn sie zuallererst so im Herzen des Hirten erklungen sind.

150. Jesus wurde ärgerlich angesichts dieser vorgeblichen, den anderen gegenüber sehr anspruchsvollen Meister, die das Wort Gottes lehrten, sich aber nicht von ihm erleuchten ließen: »Sie schnüren schwere Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, wollen selber aber keinen Finger rühren, um die Lasten zu tragen« (Mt 23,4). Der Apostel Jakobus mahnte: »Nicht so viele von euch sollen Lehrer werden, meine Brüder. Ihr wisst, dass wir im Gericht strenger beurteilt werden« (Jak 3,1). Wer predigen will, der muss zuerst bereit sein, sich vom Wort ergreifen zu lassen und es in seinem konkreten Leben Gestalt werden zu lassen. In dem Fall besteht das Predigen in der so intensiven und fruchtbaren Tätigkeit, »den anderen das mitzuteilen, was man selber betrachtet hat«117. Aus all diesen Gründen muss man, bevor man konkret vorbereitet, was man sagen wird, akzeptieren, zuerst von jenem Wort getroffen zu werden, das die anderen treffen soll, denn es ist lebendig und kraftvoll, und wie ein Schwert »dringt es durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark; es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens« (Hebr 4,12). Das hat eine pastorale Bedeutung. Auch in dieser Zeit ziehen die Menschen vor, die Zeugen zu hören: Man »verlangt geradezu nach Echtheit« und »fordert Verkünder, die von einem Gott sprechen, den sie selber kennen und der ihnen so vertraut ist, als sähen sie den Unsichtbaren«118.

151. Es wird von uns nicht verlangt, dass wir makellos sind, sondern vielmehr, dass wir immer im Wachsen begriffen sind, dass wir in dem tiefen Wunsch leben, auf dem Weg des Evangeliums voranzuschreiten, und den Mut nicht verlieren. Unerlässlich ist für den Prediger, die Gewissheit zu haben, dass Gott ihn liebt, dass Jesus Christus ihn gerettet hat und dass seine Liebe immer das letzte Wort hat. Angesichts solcher Schönheit wird er oft spüren, dass sein Leben ihr nicht vollkommen die Ehre gibt, und wird sich aufrichtig wünschen, auf eine so große Liebe besser zu antworten. Doch wenn er nicht innehält, um das Wort Gottes mit echter Offenheit zu hören, wenn er nicht zulässt, dass es sein Leben anrührt, ihn in Frage stellt, ihn ermahnt, ihn aufrüttelt, wenn er sich nicht Zeit nimmt, um mit dem Wort Gottes zu beten, dann ist er tatsächlich ein falscher Prophet, ein Betrüger oder ein eitler Scharlatan. Auf jeden Fall kann er, wenn er seine Dürftigkeit erkennt und den Wunsch hat, sich mehr zu engagieren, sich immer Jesus Christus schenken und dabei mit Petrus sagen: »Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir« (Apg 3,6). Der Herr möchte uns einsetzen als lebendige, freie und kreative Menschen, die sich von seinem Wort durchdringen lassen, bevor sie es weitergeben. Seine Botschaft muss wirklich den Weg über den Prediger nehmen, aber nicht nur über seine Vernunft, sondern indem es von seinem ganzen Sein Besitz ergreift. Der Heilige Geist, der das Wort der Schrift inspiriert hat, ist derjenige, »der heute wie in den Anfängen der Kirche in all jenen am Werk ist, die das Evangelium verkünden und sich von ihm ergreifen und führen lassen; er legt ihnen Worte in den Mund, die sie allein niemals finden könnten«119.

Die geistliche Lesung

152. Es gibt eine konkrete Weise, das zu hören, was der Herr uns in seinem Wort sagen will, und uns von seinem Heiligen Geist verwandeln zu lassen. Es ist das, was wir „lectio divina“ nennen. Sie besteht im Lesen des Wortes Gottes innerhalb einer Zeit des Gebetes, um ihm zu erlauben, uns zu erleuchten und zu erneuern. Dieses betende Lesen der Bibel ist nicht von dem Studium getrennt, das der Prediger unternimmt, um die zentrale Botschaft des Textes zu finden; im Gegenteil, es muss von hier ausgehen in dem Versuch, zu entdecken, was ebendiese Botschaft seinem Leben sagen will. Die geistliche Lesung eines Textes muss von seiner wörtlichen Bedeutung ausgehen. Andernfalls geschieht es leicht, dass man den Text das sagen lässt, was angenehm ist, was dazu dient, die eigenen Entscheidungen zu bestätigen, was zu den eigenen geistigen Schablonen passt. Das hieße letztlich, etwas Heiliges zum eigenen Vorteil zu nutzen und diese Verwirrung auf das Volk Gottes zu übertragen. Man darf nie vergessen, dass manchmal »auch der Satan sich als Engel des Lichts tarnt« (2 Kor 11,14).

153. Es ist gut, sich in der Gegenwart Gottes bei einer ruhigen Lektüre des Textes zum Beispiel zu fragen: Herr, was sagt mir dieser Text? Was möchtest du mit dieser Botschaft an meinem Leben ändern? Was stört mich in diesem Text? Warum interessiert mich das nicht? – oder: Was gefällt mir, was spornt mich an in diesem Wort? Was zieht mich an? Warum zieht es mich an? – Wenn man versucht, auf den Herrn zu hören, ist es normal, Versuchungen zu haben. Eine von ihnen besteht einfach darin, sich gestört oder beklommen zu fühlen und sich zu verschließen; eine andere sehr verbreitete Versuchung ist, daran zu denken, was der Text den anderen sagt, um zu vermeiden, ihn auf das eigene Leben anzuwenden. Es kommt auch vor, dass man beginnt, Ausreden zu suchen, die einem erlauben, die spezifische Botschaft eines Textes zu verwässern. Andere Male meinen wir, Gott verlange eine zu große Entscheidung von uns, die zu fällen wir noch nicht in der Lage sind. Das führt bei vielen Menschen dazu, die Freude an der Begegnung mit dem Wort Gottes zu verlieren, doch das würde bedeuten zu vergessen, dass niemand geduldiger ist als Gottvater, dass niemand versteht und hofft wie er. Er lädt immer ein, einen Schritt mehr zu tun, verlangt aber nicht eine vollständige Antwort, wenn wir noch nicht den Weg zurückgelegt haben, der ihn ermöglicht. Er möchte einfach, dass wir ehrlich auf unser Leben schauen und es ohne Täuschungen vor seine Augen führen; dass wir bereit sind, weiter zu wachsen, und dass wir ihn um das bitten, was wir noch nicht zu erlangen vermögen.

Ein Ohr beim Volk

154. Der Prediger muss auch ein Ohr beim Volk haben, um herauszufinden, was für die Gläubigen zu hören notwendig ist. Ein Prediger ist ein Kontemplativer, der seine Betrachtung auf das Wort Gottes und auch auf das Volk richtet. Auf diese Weise macht er sich vertraut, »mit den Wünschen, Reichtümern und Grenzen, mit der Art zu beten, zu lieben, Leben und Welt zu betrachten, wie sie für eine bestimmte Menschengruppe charakteristisch sind«120, achtet dabei auf das konkrete Volk mit seinen Zeichen und Symbolen und antwortet auf seine besonderen Fragen. Es geht darum, die Botschaft des biblischen Textes mit einer menschlichen Situation zu verbinden, mit etwas aus ihrem Leben, mit einer Erfahrung, die das Licht des Wortes Gottes braucht. Diese Sorge entspricht nicht einer opportunistischen oder diplomatischen Haltung, sondern ist zutiefst religiös und pastoral. Es ist im Grunde eine »innere Wachsamkeit, um die Botschaft Gottes aus den Ereignissen herauszulesen«121, und das ist viel mehr, als etwas Interessantes zu finden, um darüber zu sprechen. Das, was man zu entdecken sucht, ist, »was der Herr uns in der jeweiligen konkreten Situation zu sagen hat«122. So wird also die Vorbereitung auf die Predigt zu einer Übung evangeliumsgemäßer Unterscheidung, bei der man – im Licht des Heiligen Geistes – jenen »Anruf« zu erkennen sucht, »den Gott gerade in dieser geschichtlichen Situation vernehmen lässt. Auch in ihr und durch sie ruft Gott den Glaubenden«123.

155. Bei dieser Suche ist es möglich, einfach auf irgendeine häufige menschliche Erfahrung zurückzugreifen wie die Freude über ein Wiedersehen, die Enttäuschungen, die Angst vor der Einsamkeit, das Mitleid mit dem Schmerz anderer, die Unsicherheit angesichts der Zukunft, die Sorge um einen lieben Menschen usw. Es ist jedoch nötig, die Sensibilität zu steigern, um das zu erkennen, was wirklich mit ihrem Leben zu tun hat. Erinnern wir uns daran, dass man niemals auf Fragen antworten soll, die sich keiner stellt; und es ist auch nicht angebracht, Berichte über aktuelle Ereignisse zu bieten, um Interesse zu wecken – dafür gibt es bereits die Fernsehprogramme. Auf jeden Fall ist es möglich, von irgendeinem Geschehnis auszugehen, damit das Wort Gottes in seiner Einladung zur Umkehr, zur Anbetung, zu konkreten Haltungen der Brüderlichkeit und des Dienstes usw. mit Nachdruck erklingen kann. Manche Menschen hören nämlich ab und zu gerne in der Predigt Kommentare zur Wirklichkeit, lassen sich dadurch aber nicht persönlich ansprechen.

Pädagogische Mittel

156. Einige meinen, gute Prediger sein zu können, weil sie wissen, was sie sagen müssen, vernachlässigen aber das Wie, die konkrete Weise, eine Predigt zu entwickeln. Sie klagen, wenn die anderen ihnen nicht zuhören oder sie nicht schätzen, aber vielleicht haben sie sich nicht bemüht, die geeignete Weise zu finden, die Botschaft zu präsentieren. Erinnern wir uns daran: »Die offenkundige Bedeutung des Inhalts […] darf jedoch nicht die Bedeutung ihrer Wege und Mittel verdecken«124. Auch die Sorge um die Art und Weise des Predigens ist eine zutiefst geistliche Haltung. Es bedeutet, auf die Liebe Gottes zu antworten, indem wir uns mit all unseren Fähigkeiten und unserer Kreativität der Aufgabe widmen, die er uns anvertraut; doch es ist auch eine hervorragende Übung der Nächstenliebe, denn wir wollen den anderen nicht etwas Minderwertiges anbieten. In der Bibel finden wir zum Beispiel den Rat, die Predigt ordentlich vorzubereiten, um einen geeigneten Umfang einzuhalten: »Dräng die Worte zusammen, fasse dich kurz« (Sir 32,8).

157. Nur um durch Beispiele zu erläutern, erwähnen wir einige praktische Mittel, die eine Predigt bereichern und anziehender machen können. Eine der nötigsten Anstrengungen ist zu lernen, in der Predigt Bilder zu verwenden, das heißt, in Bildern zu sprechen. Manchmal gebraucht man Beispiele, um etwas, das man erklären will, verständlicher zu machen, aber oft zielen diese Beispiele allein auf die Vernunft. Die Bilder hingegen helfen, die Botschaft, die man überbringen will, zu schätzen und anzunehmen. Ein anziehendes Bild lässt die Botschaft als etwas empfinden, das vertraut, nahe, möglich ist und mit dem eigenen Leben in Verbindung gebracht wird. Ein gelungenes Bild kann dazu führen, dass die Botschaft, die man vermitteln will, ausgekostet wird; es weckt einen Wunsch und motiviert den Willen im Sinne des Evangeliums. Eine gute Homilie muss, wie mir ein alter Lehrer sagte, „eine Idee, ein Gefühl und ein Bild“ enthalten.

158. Schon Paul VI. sagte: »Die versammelte Gemeinde der Gläubigen […] erwartet und empfängt […] sehr viel von dieser Predigt; sie soll einfach sein, klar, direkt, auf die Menschen bezogen«125. Die Einfachheit hat etwas mit der verwendeten Sprache zu tun. Um nicht Gefahr zu laufen, umsonst zu sprechen, muss es die Sprache sein, die die Adressaten verstehen. Es kommt oft vor, dass die Prediger Wörter benutzen, die sie während ihrer Studien und in bestimmten Kreisen gelernt haben, die aber nicht zur gewöhnlichen Sprache ihrer Zuhörer gehören. Es gibt Wörter, die eigene Begriffe der Theologie oder der Katechese sind und deren Bedeutung der Mehrheit der Christen nicht verständlich ist. Die größte Gefahr für einen Prediger besteht darin, sich an die eigene Sprache zu gewöhnen und zu meinen, dass alle anderen sie gebrauchen und von selbst verstehen. Wenn man sich an die Sprache der anderen anpassen will, um sie mit dem Wort Gottes zu erreichen, muss man viel zuhören, das Leben der Leute teilen und ihm gerne Aufmerksamkeit widmen. Einfachheit und Klarheit sind zwei verschiedene Dinge. Die Sprache kann ganz einfach sein, die Predigt jedoch wenig klar. Sie kann sich als unverständlich erweisen wegen ihrer Unordnung, wegen mangelnder Logik oder weil sie verschiedene Themen gleichzeitig behandelt. Daher ist eine andere notwendige Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Predigt thematisch eine Einheit bildet, eine klare Ordnung und Verbindung zwischen den Sätzen besitzt, so dass die Menschen dem Prediger leicht folgen und die Logik dessen, was er sagt, erfassen können.

159. Ein anderes Merkmal ist die positive Sprache. Sie sagt nicht so sehr, was man nicht tun darf, sondern zeigt vielmehr, was wir besser machen können. Wenn sie einmal auf etwas Negatives hinweist, dann versucht sie immer, auch einen positiven Wert aufzuzeigen, der anzieht, um nicht bei der Klage, beim Gejammer, bei der Kritik oder bei Gewissensbissen stehen zu bleiben. Außerdem gibt eine positive Verkündigung immer Hoffnung, orientiert auf die Zukunft hin und lässt uns nicht eingeschlossen im Negativen zurück. Wie gut ist es, wenn sich Priester, Diakone und Laien regelmäßig treffen, um gemeinsam Mittel und Wege zu finden, um die Verkündigung attraktiver zu gestalten!

IV. Eine Evangelisierung zur Vertiefung des Kerygmas

160. Die missionarische Sendung des Herrn schließt die Aufforderung zum Wachstum im Glauben ein, wenn es heißt: »Und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe« (Mt 28, 20). Damit wird klar, dass die Erstverkündigung auch einen Weg der Bildung und Reifung in Gang setzen muss. Die Evangelisierung sucht auch das Wachstum, und deshalb gilt es, jede einzelne Person und den Plan, den Gott für sie hat, sehr ernst zu nehmen. Jedes menschliche Wesen braucht Christus mehr und mehr, und die Evangelisierung dürfte nicht zulassen, dass sich jemand mit Wenigem begnügt. Er sollte vielmehr im Vollsinn sagen können: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (Gal 2, 20).

161. Es wäre nicht richtig, diesen Aufruf zum Wachstum ausschließlich oder vorrangig als Bildung in der Glaubenslehre zu verstehen. Es geht darum, das, was der Herr uns geboten hat, als Antwort auf seine Liebe zu „befolgen”, womit zusammen mit allen Tugenden jenes neue Gebot hervorgehoben wird, das das erste und größte ist und das uns am meisten als Jünger erkennbar macht: »Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe« (Joh 15,12). Es ist offensichtlich: Wenn die Verfasser des Neuen Testaments die sittliche Botschaft des Christentums in einer letzten Synthese auf seinen Wesenskern reduzieren wollen, dann verweisen sie uns auf die unausweichliche Forderung der Liebe zum Nächsten: »Wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt […] Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes« (Röm 13,8.10). So sagt der heilige Paulus, für den das Liebesgebot nicht nur das Gesetz zusammenfasst, sondern auch sein Herz und seine Daseinsberechtigung ausmacht: »Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!« (Gal 5,14). Und er stellt seinen Gemeinden das Leben der Christen als einen Weg des Wachstums in der Liebe vor: »Euch aber lasse der Herr wachsen und reich werden in der Liebe zueinander und zu allen, wie auch wir euch lieben« (1 Thess 3,12). Auch der heilige Jakobus ermahnt die Christen, »nach dem Wort der Schrift: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! das königliche Gesetz« (2,8) zu erfüllen, um nicht in irgendeinem der Gebote zu versagen.

162. Diesem Weg der Antwort und des Wachstums geht andererseits immer die Gabe voraus, denn vorher ist jene andere Aufforderung des Herrn erfolgt: »Tauft sie auf den Namen…« (Mt 28,19). Die Kindschaft, die der Vater unentgeltlich schenkt, und die Initiative der Gabe seiner Gnade (vgl. Eph 2,8-9; 1 Kor 4,7) sind die Bedingung für die Möglichkeit dieser fortlaufenden Heiligung, die Gott wohlgefällig ist und ihn verherrlicht. Es geht darum, dass wir uns in Christus umgestalten lassen durch ein fortschreitendes Leben »nach dem Geist« (Röm 8,5).

Eine kerygmatische und mystagogische Katechese

163. Die Erziehung und die Katechese stehen im Dienst dieses Wachstums. Wir verfügen schon über eine Reihe lehramtlicher Texte und Arbeitshilfen für die Katechese, die vom Heiligen Stuhl und einigen Episkopaten angeboten werden. Ich erinnere an das Apostolische Schreiben Catechesi tradendae (1979), das Allgemeine Direktorium für die Katechese (1997) und andere Dokumente, deren aktueller Inhalt hier nicht wiederholt werden muss. Ich möchte mich nur bei einigen Erwägungen aufhalten, die hervorzuheben ich für angebracht halte.

164. Wir haben von neuem entdeckt, dass auch in der Katechese die Erstverkündigung bzw. das „Kerygma” eine wesentliche Rolle spielt. Es muss die Mitte der Evangelisierungstätigkeit und jedes Bemühens um kirchliche Erneuerung bilden. Das Kerygma hat trinitarischen Charakter. Es ist das Feuer des Geistes, der sich in der Gestalt von Zungen schenkt und uns an Chris-tus glauben lässt, der uns durch seinen Tod und seine Auferstehung die unendliche Barmherzigkeit des Vaters offenbart und mitteilt. Im Mund des Katechisten erklingt immer wieder die erste Verkündigung: „Jesus Christus liebt dich, er hat sein Leben hingegeben, um dich zu retten, und jetzt ist er jeden Tag lebendig an deiner Seite, um dich zu erleuchten, zu stärken und zu befreien”. Wenn diese Verkündigung die „erste” genannt wird, dann nicht, weil sie am Anfang steht und dann vergessen oder durch andere Inhalte, die sie übertreffen, ersetzt wird. Sie ist die „erste” im qualitativen Sinn, denn sie ist die hauptsächliche Verkündigung, die man immer wieder auf verschiedene Weisen neu hören muss und die man in der einen oder anderen Form im Lauf der Katechese auf allen ihren Etappen und in allen ihren Momenten immer wieder verkünden muss.126 Deshalb muss auch »der Priester wie die Kirche in dem Bewusstsein wachsen, dass er es nötig hat, selbst ständig evangelisiert zu werden«.127

165. Man darf nicht meinen, dass das Kerygma in der Katechese später zugunsten einer angeblich „solideren” Bildung aufgegeben wird. Es gibt nichts Solideres, nichts Tieferes, nichts Sichereres, nichts Dichteres und nichts Weiseres als diese Verkündigung. Die ganze christliche Bildung ist in erster Linie Vertiefung des Kerygmas, das immer mehr und besser assimiliert wird, das nie aufhört, das katechetische Wirken zu erhellen, und das hilft, jedes Thema, das in der Katechese entfaltet wird, angemessen zu begreifen. Diese Verkündigung entspricht dem Verlangen nach dem Unendlichen, das es in jedem menschlichen Herzen gibt. Die zentrale Stellung des Kerygmas fordert für die Verkündigung Merkmale, die heute überall notwendig sind: Sie muss die erlösende Liebe Gottes zum Ausdruck bringen, die jeder moralischen und religiösen Pflicht vorausgeht, sie darf die Wahrheit nicht aufzwingen und muss an die Freiheit appellieren, sie muss freudig, anspornend und lebendig sein und eine harmonische Gesamtsicht bieten, in der die Predigt nicht auf ein paar Lehren manchmal mehr philosophischen als evangeliumsgemäßen Charakters verkürzt wird. Von dem, der evangelisiert, werden demnach bestimmte Haltungen verlangt, die die Annahme der Verkündigung erleichtern: Nähe, Bereitschaft zum Dialog, Geduld, herzliches Entgegenkommen, das nicht verurteilt.

166. Ein weiteres Merkmal der Katechese, das sich in den letzten Jahrzehnten entfaltet hat, ist das der mystagogischen Einführung,128 was im Wesentlichen zweierlei bedeutet: die notwendige stufenweise Entwicklung des Bildungsgeschehens, an dem die ganze Gemeinde beteiligt ist, und eine erneuerte Wertschätzung der liturgischen Zeichen für die christliche Initiation. Viele Handbücher und Planungen haben die Notwendigkeit einer solchen mystagogischen Erneuerung noch nicht aufgegriffen, die je nach dem Urteil der einzelnen Erziehungseinheiten sehr verschiedene Formen annehmen könnte. Die katechetische Begegnung ist eine Verkündigung des Wortes und demnach auf das Wort konzentriert, braucht aber immer eine angemessene Einbettung und attraktive Motivierung, sie braucht sprechende Symbole, muss in einen breiten Prozess des Wachstums eingebunden sein und verlangt die Integration aller Dimensionen der Person auf einem gemeinsamen Weg des Hörens und des Antwortens.

167. Es ist gut, dass jede Katechese dem „Weg der Schönheit” (via pulchritudinis) besondere Aufmerksamkeit schenkt.129 Christus zu verkündigen, bedeutet zu zeigen, dass an ihn glauben und ihm nachfolgen nicht nur etwas Wahres und Gerechtes, sondern etwas Schönes ist, das sogar inmitten von Prüfungen das Leben mit neuem Glanz und tiefem Glück erfüllen kann. In diesem Sinn können alle Ausdrucksformen wahrer Schönheit als Weg anerkannt werden, der hilft, dem Herrn Jesus zu begegnen. Es geht nicht darum, einen ästhetischen Relativismus zu fördern,130 der das unlösbare Band verdunkeln könnte, das zwischen Wahrheit, Güte und Schönheit besteht, sondern darum, die Wertschätzung der Schönheit wiederzugewinnen, um das menschliche Herz zu erreichen und in ihm die Wahrheit und Güte des Auferstandenen erstrahlen zu lassen. Wenn wir, wie Augustinus sagt, nur das lieben, was schön ist,131 dann ist der Mensch gewordene Sohn, die Offenbarung der unendlichen Schönheit, in höchstem Maß liebenswert und zieht uns mit Banden der Liebe an sich. Dann wird es notwendig, dass die Bildung in der via pulchritudinis sich in die Weitergabe des Glaubens einfügt. Es ist wünschenswert, dass jede Teilkirche in ihrem Evangelisierungswirken den Gebrauch der Künste fördert, den Reichtum der Vergangenheit fortführend, aber auch die Fülle der Ausdrucksformen der Gegenwart aufgreifend, um den Glauben in einer neuen „Rede in Gleichnissen”132 weiterzugeben. Man muss wagen, die neuen Zeichen zu finden, die neuen Symbole, ein neues Fleisch für die Weitergabe des Wortes, die verschiedenen Formen der Schönheit, die in den einzelnen kulturellen Bereichen geschätzt werden, sogar jene unkonventionellen Weisen der Schönheit, die für die Evangelisierenden vielleicht wenig bedeuten, für andere aber besonders attraktiv geworden sind.

168. Was die Darlegung der Moral in der Katechese betrifft, die zum Wachsen in der Treue gegenüber dem Lebensstil des Evangeliums einlädt, ist es angebracht, immer das erstrebenswerte Gute aufzuzeigen, den Entwurf des Lebens, der Reife, der Erfüllung, der Fruchtbarkeit, in dessen Licht unsere Anklage der Übel, die ihn verdunkeln können, nachvollzogen werden kann. Es ist gut, dass man in uns nicht so sehr Experten für apokalyptische Diagnosen sieht bzw. finstere Richter, die sich damit brüsten, jede Gefahr und jede Verirrung aufzuspüren, sondern frohe Boten, die befreiende Lösungen vorschlagen, und Hüter des Guten und der Schönheit, die in einem Leben, das dem Evangelium treu ist, erstrahlen.

Die persönliche Begleitung der Wachstumsprozesse

169. In einer Zivilisation, die an der Anonymität leidet und paradoxerweise zugleich, schamlos krank an einer ungesunden Neugier, darauf ver

, Details aus dem Leben der anderen zu erfahren, braucht die Kirche den Blick der Nähe, um den anderen anzuschauen, gerührt zu werden und vor ihm Halt zu machen, so oft es nötig ist. In dieser Welt können die geweihten Diener und die übrigen in der Seelsorge Tätigen den Wohlsessen istgeruch der Nähe und Gegenwart Jesu und seines persönlichen Blicks wahrnehmbar machen. Die Kirche wird ihre Glieder – Priester, Ordensleute und Laien – in diese „Kunst der Begleitung” einführen müssen, damit alle stets lernen, vor dem heiligen Boden des anderen sich die Sandalen von den Füßen zu streifen (vgl. Ex 3,5). Wir müssen unserem Wandel den heilsamen Rhythmus der Zuwendung geben, mit einem achtungsvollen Blick voll des Mitleids, der aber zugleich heilt, befreit und zum Reifen im christlichen Leben ermuntert.

170. Auch wenn das offensichtlich scheint, muss die geistliche Begleitung mehr und mehr zu Gott hinführen, denn in ihm können wir die wahre Freiheit erlangen. Einige halten sich für frei, wenn sie abseits von Gott eigene Wege gehen. Aber sie merken nicht, dass sie dabei existentiell verwaisen, dass sie ohne Schutz sind, ohne ein Heim, in das sie immer zurückkehren können. Sie hören auf, Pilger zu sein, und werden zu Umherirrenden, die immer um sich selbst kreisen, ohne je an ein Ziel zu gelangen. Die Begleitung wäre allerdings kontraproduktiv, wenn sie zu einer Art Therapie würde, die diese Verschlossenheit der Personen in sich selbst fördert, und aufhörte, Wanderschaft mit Christus zum Vater zu sein.

171. Mehr denn je brauchen wir Männer und Frauen, die aus ihrer Erfahrung als Begleiter die Vorgehensweise kennen, die sich durch Klugheit auszeichnet sowie durch die Fähigkeit zum Verstehen, durch die Kunst des Wartens sowie durch die Fügsamkeit dem Geist gegenüber, damit wir alle zusammen die Schafe, die sich uns anvertrauen, vor den Wölfen, die die Herde zu zerstreuen trachten, beschützen. Wir müssen uns in der Kunst des Zuhörens üben, die mehr ist als Hören. In der Verständigung mit dem anderen steht an erster Stelle die Fähigkeit des Herzens, welche die Nähe möglich macht, ohne die es keine wahre geistliche Begegnung geben kann. Zuhören hilft uns, die passende Geste und das passende Wort zu finden, die uns aus der bequemen Position des Zuschauers herausholen. Nur auf der Grundlage dieses achtungsvollen, mitfühlenden Zuhörens ist es möglich, die Wege für ein echtes Wachstum zu finden, das Verlangen nach dem christlichen Ideal und die Sehnsucht zu wecken, voll auf die Liebe Gottes zu antworten und das Beste, das Gott im eigenen Leben ausgesät hat, zu entfalten. Immer aber mit der Geduld dessen, der weiß, was der heilige Thomas von Aquin gelehrt hat: Es kann jemand die Gnade und die Liebe haben, trotzdem aber die eine oder andere Tugend »aufgrund einiger entgegengesetzter Neigungen«,133 die weiter bestehen, nicht gut leben. Mit anderen Worten: Der organische Zusammenhang der Tugenden besteht zwar »in habitu« immer und notwendig, es kann aber Umstände geben, die die Verwirklichung dieser tugendhaften Anlagen erschweren. Deshalb bedarf es einer »Pädagogik, welche die Personen schrittweise zur vollen Aneignung des Mysteriums hinführt«.134 Damit eine gewisse Reife erlangt wird, so dass die Personen fähig werden, wirklich freie und verantwortliche Entscheidungen zu treffen, muss man mit der Zeit rechnen und unermessliche Geduld haben. Der selige Petrus Faber sagte: »Die Zeit ist der Bote Gottes«.

172. Der Begleiter versteht es, die Situation jedes Einzelnen vor Gott anzuerkennen. Sein Leben in der Gnade ist ein Geheimnis, das niemand von außen ganz verstehen kann. Das Evangelium schlägt uns vor, einen Menschen zurechtzuweisen und ihm aufgrund der Kenntnis der objektiven Bosheit seiner Handlungen wachsen zu helfen (vgl. Mt 18,15), ohne jedoch über seine Verantwortung und seine Schuld zu urteilen (vgl. Mt 7,1; Lk 6,37). Ein guter Begleiter lässt freilich fatalistische Haltungen und Kleinmut nicht zu. Immer lädt er ein, sich heilen zu lassen, seine Bahre zu nehmen (vgl. Joh 5, 8), das Kreuz zu umarmen, alles hinter sich zu lassen, immer neu aufzubrechen, um das Evangelium zu verkünden. Die eigene Erfahrung, uns begleiten und heilen zu lassen, indem es uns gelingt, unser Leben mit vollkommener Aufrichtigkeit vor unserem Begleiter auszubreiten, lehrt uns, mit den anderen Geduld zu haben und verständnisvoll zu sein, und ermöglicht uns, die Wege zu finden, um ihr Vertrauen zu wecken, so dass sie sich öffnen und bereit sind zu wachsen.

173. Die wahre geistliche Begleitung beginnt und entfaltet sich immer im Bereich des Dienstes am Evangelisierungsauftrag. Die Beziehung des Paulus zu Timotheus und Titus ist ein Beispiel dieser Begleitung und Bildung im Zuge des apostolischen Wirkens. Während er ihnen den Auftrag erteilt, in der Stadt zu bleiben, »damit du das, was noch zu tun ist, zu Ende führst« (Tit 1,5; vgl. 1 Tim 1,3-5), gibt er ihnen Hinweise für ihr persönliches Leben und die pastorale Arbeit. Hier liegt ein klarer Unterschied zu jeder Form von intimistischer, auf isolierte Selbstverwirklichung bedachter Begleitung. Missionarische Jünger begleiten missionarische Jünger.

Am Wort Gottes orientiert

174. Nicht nur die Homilie muss aus dem Wort Gottes ihre Nahrung schöpfen. Die gesamte Evangelisierung beruht auf dem Wort, das vernommen, betrachtet, gelebt, gefeiert und bezeugt wird. Die Heilige Schrift ist Quelle der Evangelisierung. Es ist daher notwendig, sich unentwegt durch das Hören des Wortes zu bilden. Die Kirche evangelisiert nicht, wenn sie sich nicht ständig evangelisieren lässt. Es ist unerlässlich, dass das Wort Gottes »immer mehr zum Mittelpunkt allen kirchlichen Handelns werde«.135 Das vernommene und – vor allem in der Eucharistie – gefeierte Wort Gottes nährt und kräftigt die Christen innerlich und befähigt sie zu einem echten Zeugnis des Evangeliums im Alltag. Wir haben den alten Gegensatz zwischen Wort und Sakrament bereits überwunden. Das lebendige und wirksame verkündete Wort bereitet auf den Empfang des Sakramentes vor, und im Sakrament erreicht dieses Wort seine größte Wirksamkeit.

175. Das Studium der Heiligen Schrift muss ein Tor sein, das allen Gläubigen offensteht.136 Es ist grundlegend, dass das geoffenbarte Wort die Katechese und alle Bemühungen zur Weitergabe des Glaubens tief greifend befruchtet.137 Die Evangelisierung braucht die Vertrautheit mit dem Wort Gottes. Das verlangt von den Diözesen, den Pfarreien und allen katholischen Gruppierungen das Angebot eines ernsten und beharrlichen Studiums der Bibel sowie die Förderung ihrer persönlichen und gemeinschaftlichen Lektüre im Gebet.138 Wir tappen nicht in der Finsternis und müssen nicht darauf warten, dass Gott sein Wort an uns richtet, denn »Gott hat gesprochen, er ist nicht mehr der große Unbekannte, sondern er hat sich gezeigt«.139 Nehmen wir den erhabenen Schatz des geoffenbarten Wortes in uns auf.

Anmerkungen:

77 Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Asia (6. November 1999), 19: AAS 92 (2000), 478.

78 Ebd., 2: AAS 92 (2000), 451.

79 Vgl. Propositio 4.

80 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogm. Konst. Lumen gentium über die Kirche, 1.

81 Meditation bei der ersten Generalkongregation der XIII. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode (8. Oktober 2012): AAS 104 (2012), 897.

82 Vgl. Propositio 6; Zweites Vatikanisches Konzil, Past. Konst. Gaudium et spes über die Kirche in der Welt von heute, 22.

83 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogm. Konst. Lumen gentium über die Kirche, 9.

84 Vgl. III. Generalversammlung der Bischöfe von Lateinamerika und der Karibik, Dokument von Puebla (23. März 1979), 386-387.

85 Zweites Vatikanisches Konzil, Past. Konst. Gaudium et spes der Welt von heute, 36.

86 Ebd., 25.

87 Ebd., 53.

88 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Novo Millennio ineunte (6. Januar 2001), 40: AAS 93 (2001), 294-295.

89 Ebd., 40: AAS 93 (2001), 295.

90 Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 52: AAS 83 (1991), 300; vgl. Apostolisches Schreiben Catechesi tradendae (16. Oktober 1979), 53: AAS 71 (1979), 1321.

91 Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Oceania (22. November 2001), 16: AAS 94 (2002), 384.

92 Ders., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Africa (14. September 1995), 61: AAS 88 (1996), 39.

93 Vgl. Thomas von Aquin, S. Th. I, q. 39, a. 8 cons. 2: »Wenn man den Heiligen Geist ausschließt, der die Verbindung zwischen dem Vater und dem Sohn ist, kann man die Einigkeit beider nicht verstehen«; vgl. auch I, q. 37, a. 1, ad 3.

94 Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Oceania (22. November 2001), 17: AAS 94 (2002), 385.

95 Vgl. Ders., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Asia (6. November 1999), 20: AAS 92 (2000), 478-482.

96 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogm. Konst. Lumen gentium über die Kirche, 12.

97 Johannes Paul II., Enzyklika Fides et ratio (14. September 1998), 71 : AAS 91 (1999), 60.

98 III. Generalversammlung der Bischöfe von Lateinamerika und der Karibik, Dokument von Puebla (23. März 1979), 450; vgl. V. Generalversammlung der Bischöfe von ateinamerika und der Karibik, Dokument von Aparecida (29. Juni 2007), 264.

99 Vgl. Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Asia (6. November 1999), 21: AAS 92 (2000), 482-484.

100 Nr. 48: AAS 68 (1976), 38

101 Ebd.

102 Ansprache während der Eröffnungssitzung der V. Generalversammlung der Bischöfe von Lateinamerika und der Karibik (13. Mai 2007), 1: AAS 99 (2007), 446-447.

103 V. Generalversammlung der Bischöfe von Lateinamerika und der Karibik, Dokument von Aparecida (29. Juni 2007), 262.

104 Ebd., 263.

105 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, q. 2, a. 2.

106 V. Generalversammlung der Bischöfe von Lateinamerika und der Karibik, Dokument von Aparecida (29. Juni 2007), 264.

107 Ebd.

108 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogm. Konst. Lumen gentium über die Kirche, 12.

109 Vgl. Propositio 17.

110 Vgl. Propositio 30.

111 Vgl. Propositio 27.

112 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Dies Domini (31. Mai 1998), 41: AAS 90 (1998), 738-739.

113 Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 78: AAS 68 (1976), 71.

114 Ebd.

115 Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Pastores dabo vobis (15. März 1992), 26: AAS 84 (1992), 698.

116 Ebd., 25: AAS 84 (1992), 696.

117 Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, q. 188, a. 6.

118 Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 76: AAS 68 (1976), 68.

119 Ebd., 75: AAS 68 (1976), 65.

120 Ebd., 63: AAS 68 (1976), 53.

121 Ebd., 43: AAS 68 (1976), 33.

122 Ebd.

123 Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Pastores dabo vobis (25. März 1992), 10: AAS 84 (1992), 672.

124 Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 40: AAS 68 (1976), 31.

125 Ebd., 43: AAS 68 (1976), 33.

126 Vgl. Propositio 9.

127 Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Pastores dabo vobis (25. März 1992), 26: AAS 84 (1992), 698

128 Vgl. Propositio 38.

129 Vgl. Propositio 20.

130 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret Inter mirifica über die sozialen Kommunikationsmittel, 6.

131 Vgl. De musica, VI, XIII, 38: PL 32, 1183-1184; Confessiones, IV, XIII, 20: PL 32, 701.

132 Benedikt XVI., Ansprache anlässlich der Ausstrahlung des Dokumentarfilms Kunst und Glauben – via pulchritudinis” (25.Oktober 2012): L’Osservatore Romano (27. Oktober 2012), S. 7.

133 Summa Theologiae I-II q. 65, a. 3, ad 2: »propter aliquas dispositiones contrarias«.

134 Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Asia (6. November 1999), 20: AAS 92 (2000), 481.135 Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Verbum Domini (30. September 2010), 1: AAS 102 (2010), 682.

136 Vgl. Propositio 11.

137 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogm. Konst. Dei Verbum über die göttliche Offenbarung, 21- 22

138 Vgl. Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Verbum Domini (30. September 2010), 86-87: AAS 102 (2010), 757-760.

139 Ders., Ansprache bei der ersten Generalkongregation der XIII. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode (8. Oktober 2012): AAS 104 (2012), 896.

1 Antonio Spadaro SJ, Das Interview mit Papst Franziskus, hg. von Andreas R. Batlogg SJ, Freiburg/Br. 2013, 51f.

2 Zitiert nach: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 2, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1975, 66f.

3 Bettina Eltrop, Lectio divina/Bibelteilen, in: Mirjam Zimmermann/Ruben Zimmermann (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik (UTB 3996), Tübingen 2013, 483-490, hier: 483.

4 Vgl. dazu ausführlicher den Artikel von Bettina Eltrop.