Von der Konziliaren Versammlung zum Konziliaren Ratschlag

vorgetragen auf dem Konziliaren Ratschlag, Freitag, 24. Mai 2013

Katja Strobel, Institut für Theologie und Politik

Die Idee zur Konziliaren Versammlung, die vom 18. bis 21. Oktober 2012 aus Anlass der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils am 12. Oktober 1962 stattgefunden hat, wurde bereits 2009 auf dem Weltforum für Theologie und Befreiung in Belem geboren, als das Konzilsjubiläum und die Erinnerung an den Katakombenpakt „Für eine dienende und arme Kirche“ als subversives Vermächtnis des II. Vatikanums thematisiert wurden.

Der Katakombenpakt diente uns in der Vorbereitungsgruppe als hermeneutischer Schlüssel für den Zugang zum II. Vatikanum. Das Ereignis des Konzils wurde hier zur Anregung für viele Bischöfe, eine Selbstverpflichtung einzugehen, die sie als solche nicht veröffentlichten, die sie aber unterschiedlich konsequent in ihren Bistümern umsetzten. Viele blieben ein Leben lang verbunden. Für uns in der Vorbereitungsgruppe war uns dies ein Vorbild, um unabhängig davon, was die Amtskirchen vorgeben, eine Versammlung einzuberufen, die an die Aufbrüche rund um das Konzil erinnern und gleichzeitig einen neuen Aufbruch darstellen sollte, den Versuch, gesellschaftskritische christliche Gruppen zusammen und ins Gespräch zu bringen. Unsere Hoffnung war, dass wir anschließen können an den Katakombenpakt, der in Absatz 10 formuliert:

10. Wir werden alles dafür tun, dass die Verantwortlichen unserer Regierung und unserer öffentlichen Dienste solche Gesetze, Strukturen und gesellschaftlichen Institutionen schaffen und wirksam werden lassen, die für Gerechtigkeit, Gleichheit und gesamtmenschliche harmonische Entwicklung jedes Menschen und aller Menschen notwendig sind. Dadurch soll eine neue Gesellschaftsordnung entstehen, die der Würde der Menschen- und Gotteskinder entspricht .“1

Die Idee der Konziliaren Versammlung wurde dann auf dem Strategietreffen der Kirchenreformgruppen vorgestellt und weiterentwickelt. Mit einigen Initiativen zusammen wurde dann ein erster Aufruf zur Konziliaren Versammlung formuliert, der von ca. 30 unterstützenden Gruppen unterzeichnet wurde. In der Vorbereitung zur Konziliaren Versammlung haben wir versucht, diese Gruppen auch aktiv in die Vorbereitung einzubinden. Dies gelang auch in der Form, dass viele Werkstätten angeboten haben. Leider ist es nicht gut gelungen, die Gruppen auf den drei Vorbereitungstreffen in Frankfurt zusammen zu bringen. Aufgrund der Einbindung der Engagierten kamen jeweils sehr unterschiedliche und nur wenige von den unterzeichnenden Gruppen, sodass im Vorfeld nur wenig Auseinandersetzung und Entwicklung gemeinsamer Ideen stattgefunden hat. An diese Idee würden wir aber jetzt gern noch einmal anknüpfen!

Probleme gab es außerdem in der ökumenischen Ausrichtung, die zwar intendiert war, aber das Thema des II. Vatikanums wirkte zunächst einmal sehr katholisch. Zu wenig Ressourcen gab es, um mehr ökumenische oder interreligiöse Gruppen aktiv anzusprechen und einzubinden. Schwierig war deutlich zu machen, dass wir mit der Erinnerung an die Aufbrüche nicht lediglich das römisch-katholische Konzil, sondern die politisch-gesellschaftlichen Aufbrüche der 1960er Jahre und die Entwicklung von kontextuellen Theologien, von feministischer und Befreiungstheologie meinten. Nur teilweise gelang es, klar zu machen, dass wir es für genauso wichtig halten, jetzt neu aufzubrechen: die Geschichten der Aufbrüche als gefährliche Erinnerung und als Ermutigung dafür zu nehmen, gegen die gesellschaftlichen und kirchlichen Widrigkeiten zu hoffen und zu widerstehen. Das heißt, dass wir die Versammlung als Gelegenheit nutzen wollten, dass sich antikapitalistische, feministische, befreiungstheologische, kirchenreformerische, friedensbewegte Gruppen egal welcher Konfession verständigen und vielleicht Gemeinsamkeiten entdecken, die dazu führen könnten, dass aus den kleinen vor sich hin kämpfenden Gruppen und Einzelpersonen vielleicht ein wirksamerer Zusammenhang entstehen kann, der in Gesellschaft und in die Kirchen hineinwirkt.

Der Aufruf zur Versammlung endete mit dem folgenden Absatz:

[…]Es ist an der Zeit, die Zeichen der Zeit zu erkennen

Wir wissen nicht, wohin uns die Zukunft führt, aber die Geschichte zeigt im Guten wie im Schlechten, dass eine andere Welt möglich ist. Welchen Anteil werden wir als ChristInnen aus allen Konfessionen daran nehmen?

Es ist an der Zeit, dass wir – wer denn sonst? – heute „nach den Zeichen der Zeit forschen und sie im Licht des Evangeliums deuten“ (Gaudium et spes Nr. 4 ). Wir rufen dazu auf, das II. Vatikanum zu erinnern und fortzuschreiben. Wir rufen dazu auf, gemeinsam nach den Chancen und Herausforderungen für die Kirche als Nachfolgegemeinschaft des gekreuzigten und auferstandenen Jesus von Nazaret zu suchen. Und zwar gemeinsam mit allen, die in und für diese Welt kämpfen, hoffen, arbeiten und beten, woher sie auch kommen.

Wir hoffen auf alle ChristInnen in Reformgruppen, in Kirchengemeinden und Verbänden, in Umweltgruppen, Flüchtlingsinitiativen und politischen Bewegungen. Die Versammlung wird das, wozu wir sie gemeinsam machen! Bringt euch selbst ein – mit euren eigenen Perspektiven, euren Hoffnungen, eurer Trauer und euren Fragen!

Lasst uns gemeinsam überlegen, welche Themen, welche Gäste, welche Reflexions- und Aktionsformen das Treffen bestimmen sollten!

Lasst uns gemeinsam bestimmen, welche Wege wir in Zukunft einschlagen können! […]“2

Die Versammlung war für viele ein wichtiges Ereignis, das haben uns zahlreiche Reaktionen auf und nach der Versammlung gezeigt. Wir begannen mit dem Eröffnungsabend in der Paulskirche, an dem der Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Kirchenkrise deutlich wurde oder zumindest Perspektiven, die beides im Blick hatten. Am Freitag und Samstag fanden selbstorganisierte Werkstätten statt, die von den unterstützenden Gruppen, aber auch von Aktiven aus dem Pastoralen Raum St. Gallus organisiert wurden, den Gemeinden St. Gallus und Maria Hilf, die neben dem Hauptort im Saalbau Gastgeber und Mitgestaltende waren, sodass wir hier die Realität im Gallusviertel auch von unten erleben konnten. Freitag abend breiteten Michael Jäger, Elisabeth Schüssler Fiorenza und Helmut Schüller ein großes Panorama von der Pfarrerinitiative über feministische Hermeneutik bis zur Frage nach den Blockaden für politische Veränderung und Protest aus. Samstag abend feierten wir ein Liturgisches Fest und am Sonntag verabschiedeten wir eine Botschaft, die die Perspektive in die Zukunft, der wir uns an diesem Wochenende vor allem widmen wollen, in den Blick nimmt. Nach einer Beschreibung des Ereignisses formuliert die Botschaft:

Uns trägt die Verheißung Jesu eines „Lebens in Fülle“ (Joh 10,10) für alle. Eine andere, eine prophetische und diakonische Kirche ist nötig und möglich; eine andere Kirche, die Gleichstellung aller Geschlechter und Lebensformen, Partizipation und Dialog, radikale Demokratie und tiefe Schöpfungsverbundenheit verwirklicht!

Wir sind Volk Gottes im Geist des Konzils, wenn wir für ein Leben aller Menschen in Würde kämpfen und die Einheit des Lebens im gerechten Tun und im Beten proklamieren.

Wir sind Volk Gottes, wenn wir mit vielen suchenden Menschen weltweit, mit feministischen sozialen und politischen Menschenrechts‐ und Demokratiebewegungen verbunden sind. Darin sind die Lesben‐, Schwulen‐, Transgender‐ und Intergender‐Bewegungen eingeschlossen.

Wir sind Volk Gottes, wenn wir die Heiligkeit der Erde als Gottes Schöpfung achten, sie bebauen und bewahren.

Wir sind ein Volk Gottes, wenn wir die konfessionelle, religiöse und kulturelle Vielfalt respektieren.

Die biblische Botschaft vom Gott des Lebens ist für uns Zuspruch und Anspruch: Anders Mensch sein in einer anderen Kirche für eine andere Welt.

Von diesen Überlegungen her bestimmen wir unser zukünftiges Handeln, insbesondere während der Jahre des Konzilsgedenkens 2012 ‐2015 und im Blick auf das 500‐Jahr‐Gedenken der Reformation 2017.“3

Damit haben wir uns ja nun ein stolzes Arbeits-Programm vorgegeben!

Auf dem Auswertungstreffen im November wurde deutlich, dass es unter den Beteiligten sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, wir an den Themen der Versammlung weitergearbeitet werden sollte. Die einen wollten gern theologisch weiterarbeiten, an den Themen des Konzils, die auch auf der Versammlung zu kurz gekommen sind, wie zum Beispiel der Bezug auf die Bibel, Prozesse in den Gemeinden oder wie eine theologische Sprache gefunden werden kann, die dafür taugt, gesellschaftlich zu intervenieren. Andere stellten in den Vordergrund, dass es gesellschaftliche Entwicklungen gibt, zu denen ‚wir‘ – wenn es denn ein ‚wir‘ gibt – uns dringend positionieren müssen. Was ist zum Beispiel mit der Wirtschafts- und Finanzkrise, die in halb Europa mit rigidem Sparkurs, drastischen sozialen Einschnitten und Kürzungen und Massenarbeitslosigkeit beantwortet wird, und die hier kaum Proteste auslösen, schon gar nicht innerhalb der Kirchen!? Einige Gruppen sind hier an Protesten beteiligt. Andere an der Versammlung beteiligte Gruppen organisieren Kampagnen gegen Waffenhandel oder gegen Abschiebungen, alle sind wieder in ihrem Alltagsleben angekommen. Wir möchten mit diesem Treffen gern die Frage aufwerfen, was die Versammlung bedeutet hat, ob es Interesse gibt, sich weiter zu treffen, auch in kleinerem Rahmen, um eben nicht wieder als kleine marginalisierte Gruppen weiter an unseren Themen zu arbeiten, sondern die Solidarität zu suchen und weiter auszuprobieren, die im letzten Oktober so spürbar war. Dabei sind für uns sehr viele Fragen offen: Was stellen wir uns unter solidarischem Handeln vor? Was wünschen wir uns voneinander? Haben wir überhaupt ähnliche Analysen und ähnliche Ziele, sodass ein solidarisches Handeln möglich wird? Die große Beteiligung an der Versammlung hat uns den Eindruck gegeben, dass es ein Bedürfnis gibt, sich auszutauschen und Gemeinsamkeiten zu suchen. Als dann der Ratschlag vorbereitet werden sollte, haben ein paar Aktive, vor allem aus dem Befreiungstheologischen Netzwerk, aber auch von pax Christi Limburg, von Wir sind Kirche, von St. Gallus und vom Institut für Theologie und Politik in Münster sich bereit erklärt mitzumachen. Aber für uns ist sehr offen, wie und ob es weiter gehen wird. Es gibt jedenfalls bisher keine Struktur, die die Weiterarbeit vorantreibt, sondern wir haben uns ad hoc zusammengefunden, weil uns das Bündnis und die Fragen an die Weiterarbeit wichtig sind. Und wir sind sehr gespannt darauf, welche Antworten und neuen Fragen wir dieses Wochenende finden werden.

1Veröffentlicht im Rundbrief des Institut für Theologie und Politik Nr. 32 (Dez. 2009) und auf http://www.pro-konzil.de/?p=140. Übersetzung: Norbert Arntz.

2Veröffentlicht in „Zeitung für eine andere Kirche Nr. 1“, auch online auf http://www.pro-konzil.de/?p=554.

3Veröffentlicht u.a. auf http://www.pro-konzil.de/?p=1575.